Schürze und Regenschirm

»Schürze und Regenschirm – László Darvasis Fußball-Fragmente«: eine Rezension seines Buches Wenn ein Mittelstürmer träumt für den ballesterer #23.

Darvasi ist Kapitän der Nationalmannschaft ungarischer Autoren (bei der Fußball-WM der Zunft neulich in Bremen Dritte), kennt sich mit Fußball jedenfalls besser aus als die meisten seiner Kollegen – insbesondere der österreichischen. Die haben zuletzt mit 2:8 ihr Heimspiel am Sportklub-Platz gegen die Ungarn verloren, aber auch hinsichtlich der Textproduktion könnten sie noch einiges lernen. 

Zur letzten WM wurden über 500 mehr oder weniger anlassbezogene Bücher auf den deutschsprachigen Markt geworfen und neben Péter Esterházys »Deutschlandreise im Strafraum« sollte man vor allem Darvasis »Wenn ein Mittelstürmer träumt. Meine Weltgeschichte des Fußballs« aus diesen letterschweren Papierhaufen bergen. Der 44jährige stellt seinem bereits sechsten ins Deutsche übersetzten Buch als Prolog den »Brief eines anonymen mitteleuropäischen Spielers an den Verlag« voran, in dem nicht nur klargestellt wird: »Man treibt nicht Sport, um stärker, schöner oder reicher zu werden. […] Man treibt Sport um zu gewinnen.« Deutlich wird auch, dass der Autor Fußball nicht zwanglos als einen von der Literatur einzugemeindenden Topos betrachtet, der sich wie das Wetter, die Liebe oder der Alkohol für diverse narrative Verfahren bereithält. 

Für die Literatur stellt Fußball in erster Linie die Herausforderung dar, Schreibweisen und Satzmuster zu entwickeln, die Parallelitäten, Überschneidungen und Vernetzungen eines Spielverlaufs umzusetzen, kurz: die komplexe Dynamik auch scheinbarer Unübersichtlichkeiten wiedergeben zu können. Die Ereignisform des Fußballs einerseits und die netzwerkförmige mediale und wahrnehmungsbezogene (visuelle, akustische, haptische) Mehrdimensionalität andererseits machen Fußball schier unerzählbar. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg war der Platz für vertexteten Fußball meist das Feuilleton, die Sportberichterstattung (und mitunter das Theater). Anfang der 70er hat dann Ror Wolf mittels radikaler Anwendung von Montagetechniken Wesentliches geleistet, indem er beides (Literatur und Fußball) wieder ernst nahm. Schließlich wurde mit Nick Hornby et al.  die biografistische Schreibweise populär – doch so einfach macht es sich weder der erwähnte Esterházy noch gibt es Darvasi allzu billig. Sein Buch fragmentiert vielmehr Wahrnehmungen und stellt diese nebeneinander. Die Parataxen der Spielbetrachtungen und die Heterogenitäten des Vollzugs finden erst in der Gesamtschau, diesfalls der Lektüre, zu ihrer Bedeutung. Gerade indem Darvasi seinen ballestrischen Zettelkatalog der Wahrnehmungen und Empfindungen, des Schmerzes, des Todes, des Rausches, der Leidenschaften und der Träume zwischen Essays und Erinnerungen einfügt, Wahres mit Anekdotischem mischt und dergestalt zu einer scheinbaren »Ordnung« der Abschnitte »Lektionen, ungenutzte Chancen«, »Randbemerkungen zur Weltgeschichte«, »Natur, Leidenschaft«, »Ethik, Geheimnis« und »Letzte Dinge« gelangt, hebt er den so beruhigenden Anschein von Kontrollierbarkeit auf, schreibt er Fußball. Höchste Empfehlung!

László Darvasi: »Wenn ein Mittelstürmer träumt« (Suhrkamp, Frankfurt/Main 2006)