Parallelaktion

1) Die institutionelle Sedierung der Parallelaktion von ihrem Beginn an: 

Deshalb erlaube sie sich, nach Rücksprache mit Sr. Erlaucht, folgenden, die heutige Sitzung abschließenden Vorschlag zu erstatten: Se. Erlaucht habe mit Recht bemerkt, daß eigentlich schon die hohen Ministerien eine Einteilung der Welt nach ihren Hauptgesichtspunkten wie Religion und Unterricht, Handel, Industrie, Recht und so weiter darstellen. Wenn man deshalb beschließen wolle, Ausschüsse einzusetzen, an deren Spitze je ein Beauftragter dieser Regierungsstellen stehe, und an seiner Seite Vertreter der ressortzuständigen Körperschaften und Volksteile wähle, so werde man einen Aufbau schaffen, welcher die hauptsächlichen moralischen Kräfte der Welt schon geordnet enthalte, durch den sie einströmen und in dem sie gesiebt werden können. Die letzte Zusammenfassung würde dann im Hauptausschuß erfolgen, und dieser Bau müsse nur noch durch einige besondere Ausschüsse und Unterausschüsse wie ein Propagandakomitee, einen Ausschuß zur Beschaffung von Geldmitteln und dergleichen ergänzt werden, wobei sie sich persönlich die Gründung eines geistigen Ausschusses zur weiteren Bearbeitung der grundlegenden Ideen, natürlich im Einvernehmen mit allen anderen Ausschüssen, vorbehalten möchte. 
Wieder schwiegen alle, aber diesmal erleichtert. Graf Leinsdorf nickte mehrmals mit dem Kopf.

2) Die Rede des Generals Stumm von Bordwehr:

Jemand fragte zur Ergänzung des Verständnisses, wie in die so gedachte Aktion das vornehmlich Österreichische hineinkommen werde? 
Zur Antwort erhob sich der General Stumm von Bordwehr, während alle Redner vor ihm sitzend gesprochen hatten. Er wisse wohl, – sagte er – dem Soldaten sei im Beratungszimmer eine bescheidene Rolle angewiesen. […] Der Gedanke des Staats sein nun einmal der der Macht, wie Treitschke sage; Staat sei die Macht, sich im Völkerkampf zu erhalten. […] Er gebe darum zu bedenken, wenn kein anderes Ziel gefunden werden sollte, was ja noch ausstehe, daß dann eine breite, volkstümliche Teilnahme an den Fragen des Heeres und seiner Bewaffnung ein sehr würdiges Ziel wäre. Si vis pacem para bellum! Die Kraft, die man im Frieden entfalte, halte den Krieg fern oder kürze ihn zumindest ab. Er könne also wohl versichern, daß eine solche Maßnahme auch völkerversöhnend zu wirken vermöge und eine ausdrucksvolle Kundgebung friedlicher Gesinnung darstellen würde.
In diesem Augenblick war etwas Merkwürdiges im Zimmer. Die meisten der Anwesenden hatten anfangs den Eindruck gehabt, daß diese Rede nicht zu der eigentlichen Aufgabe ihres Beisammenseins passe, aber als sich der General akustisch immer weiter verbreitete, hörte sich das an wie der beruhigende Marschtritt geordneter Bataillone. Der ursprüngliche Sinn der Parallelaktion »Besser als Preußen« erhob sich schüchtern, als bliese ferne eine Regimentskapelle den Marsch vom Prinz Eugenius, der gegen die Türken zog, oder das Gott erhalte. Allerdings wenn da Se. Erlaucht, was er jedoch ganz und gar nicht beabsichtigte, aufgestanden wäre, um vorzuschlagen, daß man den preußischen Bruder Arnheim an die Spitze der Regimentskapelle stellen solle, so würde man in dem ungewissen inneren Hebezustand, in dem man sich befand, geglaubt haben, Heil dir im Siegerkranz zu hören, und hätte kaum etwas dagegen einwenden können. 
Am Schlüsselloch signalisierte »Rachelle«: »Jetzt sprechen sie von Krieg!«

3) Die Beobachtung durch das Schlüsselloch und das Geschehen vor dem Sitzungszimmer:

Selbst der verwöhnte Soliman zeigte sich ergriffen. Märchenhaft und unheimlich schwoll das Leben an, durch einen Türspalt und eine Einbildung gesehen. Die gebückte Haltung machte das Blut in den Ohren sausen, und die Stimmen hinter der Tür polterten bald wie Felsblöcke, bald glitten sie wie auf geseiften Bohlen. Rachel richtete sich langsam auf. Der Boden schien sich unter ihren Füßen zu heben, und der Geist des Ereignisses umschloß sie, als ob sie den Kopf unter eines jener schwarzen Tücher gesteckt hätte, welche die Zauberer und Photographen benutzen. Dann richtete sich auch Soliman auf, und das Blut senkte sich zitternd aus ihren Köpfen. Der kleine Neger lächelte, und hinter den blauen Lippen schimmerte ein scharlachrotes Zahnfleisch.

[alle Zitate: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. 1. Buch, 2.Teil, 44. Kapitel: »Fortgang und Schluß der großen Sitzung. Ulrich findet an Rachel Wohlgefallen. Rachel an Soliman. Die Parallelaktion erhält eine feste Organisation«; Cf. 1978 bei Rowohlt, herausgegeben v. Adolf Frisé – oder 2016 bei Jung und Jung, herausgegeben v. Walter Fanta]