Philipps Erhöhung

Titelei

Der fleißige Philipp und der faule Fritz [S. 1–3]

Das Avancement [S. 4–6]

Der Schieber [S. 7–12]

Die Einberufung [S. 13–17]

Fritz »oben« [S. 18–25]


Es ist ja leider diese Welt
Von Anbeginn darauf gestellt,
Daß alles was da lebt, am Schluß
Zugrunde gehn und sterben muß.
Die meisten pflegen dieses nun
Im Leben einmal nur zu tun;
Wer aber seine ganze Zeit
Dem Aktenmorde hat geweiht,
Bei diesem stellt sich insgeheim
Der Tod in zwei Etappen ein:
Zunächst nur amtlich, später dann
Als eigentlicher Sensenmann.

Wie schlägt das Herze leicht und froh
Beim ersten Gange ins Büro!
Die Zukunft will sich rosig zeigen,
Es hängt der Himmel voller Geigen,
Man will in seinem kühnen Streben
Die Welt, aus ihren Angeln heben!
Nur immer sachte! Bald genug
Wird matter der Gedankenflug,
Und manchem geht es dann zum Schluß
Gleich wie dem armen Ikarus,
Er fällt mit ruppigem Gefieder
Gar unsanft auf die Erde nieder,
Worauf er still und resigniert
An seinen Akten weiterschmiert.

Manch einem freilich mag’s gelingen,
Zur Höhe sich emporzuschwingen,
Um zuzuschauen voll Behagen,
Wie and’re sich vergeblich plagen –
Doch allen ist im Grund hienieden
Genau das gleiche Los beschieden:
Das Alter naht mit leisem Schritt
Und nimmt sie nolens volens mit,
Die Kräfte schwinden allgemach,
Das Bein wird steif, der Arm wird schwach.
Und was das schlimmste aller Zeichen,
Das Hirn beginnt sich zu erweichen.
Wenn einer selbst das nicht empfindet
Und das bewußte Loch nicht findet,
So kommt am Schluß der blaue Bogen
Von hoher Stelle hergeflogen,
Da ist es dann für alle Zeit
Vorüber mit der Herrlichkeit.

Gar mancher nun empfindet dies
Als deminutio capitis
Und kann darein sich garnicht finden,
Auf einmal spurlos zu verschwinden.
Denn ist ihm erst der Fall bereitet,
So ist es aus. Der Nachmann schreitet,
Damit er selber was erreiche,
Hohnlächelnd über seine Leiche.
Doch and’re sehen die Geschichte
In einem nicht so grellen Lichte.
Sie lassen ohne Seelenpein
Die Akten einfach Akten sein.
Und sehen sich das Amtsgebäude
Von außen an mit Seelenfreude.
Auch hat es keinen [handschriftlich korr. mit blaufarbenem Kugelschreiber: seinen; Anm.] großen Reiz,
Daß ohne Leistung ihrerseits
Noch fürder wacker blechen muß
Der heilige Aerarius.
Im Gegensatze zu den tristen,
Sind dies die heiter’n Pensionisten.

Nun aber, dämpfe, mein Gesang,
Respektvoll deiner Stimme Klang
Und führe uns zu lichten Höh’n,
Mit ehrfurchtzitterndem Getön.
Erzähle uns mit einem Worte,
Vom Obersten, am hohen Orte.
Auch sprich zu unserer Erhebung
Von seiner näheren Umgebung.

Es war ein düst’rer Ort im Haus,
Dem wich ein jeder ängstlich aus,
Dieweil es dort bei Nacht und Tag
Wie eine schwere Wolke lag.
Ja, Sensitive spürten auch
Ein Wehen wie von Geisterhauch,
Und wähnten schaudernd sich umgeben
Von still geheimnisvollem Weben.

Wen aber des Geschickes Drang
Zur Pforte einzutreten zwang,
Dem bot zuvörderst sich das Walten,
Modern gekleideter Gestalten,
Die nur damit beschäftigt waren,
Das Amtsgeheimnis zu bewahren,
An welchem sie, nach ihren Mienen,
Unendlich schwer zu tragen schienen.
Und angemessen dieser Bürde
War ihre unnahbare Würde.
Doch im Gelasse nebenan,
Was war das für ein Übermann?
An Worten leider fehlt’s und Bildern,
Denselben nach Gebühr zu schildern;
Das Amtsgeheimnis, ernst und schwer,
Lag wie ein Schleier um ihn her,
Und eine Hoheit, ungemessen,
Ging von ihm aus. Infolgedessen,
Das Bild von Satis [handschriftl. korr. mit blaufarbenem Kugelschreiber: t gestr.; Anm.], gegen ihn,
Als lustiger Hanswurst erschien.
Ja, selbst in seinen Stiefelspitzen
Schien hehre Würde noch zu sitzen.
Und dennoch war es offenbar,
Daß der noch nicht der Höchste war.

Der Oberste nun selber – nein!
Wir gehen lieber nicht hinein!
Ihn kriegten, meldet die Geschichte,
Nur Auserwählte zu Gesichte,
Sonst aber sprach er zu dem Volke,
Wenn überhaupt, so aus der Wolke,
Und gegenüber solcher Hoheit
Wär’ einzudringen eine Roheit,

Allein, steht einer noch so hoch,
Das Ende kommt am Schlusse doch.

Es machte viele Jahre lang,
Der Oberste den Leuten bang.
Auf einmal brachte irgendwer
– Er wußte selber kaum woher,
Wie eben ein Gerücht entsteht –
Die wundersame Mähr: »Er geht!«
Das schlug wie eine Bombe ein:
»Er geht! Ja kann’s denn möglich sein?«
Natürlich mochte keiner wagen,
Das, was er dachte, laut zu sagen,
Da, wenn das Ganze eine Ente,
Man sich bedeutend schaden könnte,
Doch deutlich lag auf allen Zügen
Ein schlecht verhaltenes Vergnügen.
Das war ein Tuscheln rings im Haus ¡ [sic]

Dann transpirierte es hinaus,
Bald hieß es »unten« allgemein:
»Er geht! es soll ganz sicher sein!«
Und ehe man es sich versah,
War offiziell die Meldung da:
»Er geht, und zwar in kurzer Frist.«
– Und der Beamtenkörper ist
Mit ungemein betrübten Mienen
Zum Abschiednehmen aufgeschienen.

Es bietet sich zu solcher Zeit
Die herrlichste Gelegenheit,
Zum beiderseitigen Vergnügen
Einander weidlich anzulügen.

Und aus dem feierlichen Chor
Trat nun der Älteste hervor;
Der sprach mit Pathos und mit Rührung
Von mildem Sinn und weiser Führung
Und schloß damit, die Dankbarkeit
Sei unauslöschlich allezeit.

Der Oberste ergriff sofort
Nun zur Erwiderung das Wort;
Er sprach, wie er sein ganzes Leben
Der guten Sache hingegeben,
Er sprach von weiser Zeitbenützung
Und dankenswerter Unterstützung
Und schloß, wenn einer von den Herrn
Von ihm was wollt’, er tät es gern.
Hierauf, nach Rückenwirbelsenkung
Erfolgte allgemeine Schwenkung.

Im Vorsaal aber lachte man
Augurenhaft einander an,
Und der Gebieter drinnen machte
Auch ein Gesicht, als ob er lachte.

Der also wäre abgetan.
Doch ach, wie ist der neue Mann?
Und wieder raunte man im Haus,
Doch kam nicht viel dabei heraus;
Das Wenige, das man erfuhr,
War widersprechender Natur,
Doch hieß es ziemlich allgemein:
»Er soll gerecht, doch strenge sein,
Und wird gewiß nicht lange säumen
Mit manchen Leuten aufzurämen,«

Und bängliche Gewitterschwüle
Beherrschte sämtliche Gefühle.
Da ward der Höheren manch einer
Im voraus schon bedeutend kleiner;
Es nahm sogar der Übermann
Nun sanftere Manieren an:
Die Wolke lag nicht mehr so dicht
Auf seinem hehren Angesicht,
Ja, manche wollten drauf bestehn,
Sie hätten grüßen ihn gesehn.

Auch für den Fritz in seiner Lage
War äußerst wichtig jene Frage.
Er dachte sich mit stillem Bangen:
»Bisher ist alles gut gegangen.
Der Alte, wie ich sicher weiß,
War überzeugt von meinem Fleiß;
Doch ob es auch der Neue glaubt,
Da ist der Zweifel wohl erlaubt!«

Der Philipp aber »unten« machte
Sich nicht so viel daraus; er dachte:
»Mir ist es Wurst, geschieht, was immer,
Denn schlechter werden kann es nimmer!«

Der Neue kam. Er war soweit
Gewinnend von Persönlichkeit,
Doch sah man binnen kurzem schon:
Es geht aus einem andern Ton.
War eine Sache noch so klein,
Der Neue stieg gewiß hinein.
Bereit zum allgemeinen Schrecken,
Die kleinsten Mängel aufzudecken.

So konnt’ ihm denn auch Fritzens Treiben
Nicht lange Zeit verborgen bleiben,
Und ruchbar war es bald genug:
»Den Fritz, den hat er auf dem Zug.
Geschieht ihm recht, denn sein Betragen
Das liegt uns allen schon im Magen!«
Der arme Fritz! nun war es aus
Mit seinem Ruhm im ganzen Haus.
Denn fürder sah ihn jedermann
Mit schadenfrohem Mitleid an.
Und er entging auch länger nicht
Dem wohlverdienten Strafgericht;
Es hat sich nämlich just getroffen,
Daß »oben« eine Stelle offen,
Bei der Instanz, die, wie bekannt,
Auch die »Zentrale« wird genannt.

Der Neue sprach: »Es ist nach oben
Der Fritz alsbald hinwegzuloben,
Ich mag ihn nicht. Die oben sollen
Mit ihm machen, was sie wollen.
An seine Stelle kommt hingegen –
– Je nun – der Philipp meinetwegen.«

So ward der Philipp doch zuletzt
Auf seinen rechten Platz gesetzt.
Und bracht’ es später mit der Zeit
Verhältnismäßig ziemlich weit.

Hieraus nun seht ihr kläglich ein,
Ihr lieben Kinder, groß und klein:
Wer sich der Faulheit nur ergibt,
Macht überall sich unbeliebt.
Es kann ihn eben keiner brauchen,
Und jeder sucht ihn abzutauchen.
Wer aber fleißig ist und klug,
Der wird was – lebt er lang genug.

Es schließt mit diesem Geistesblitz
Der Sang vom Philipp und dem Fritz.