Der Sang vom Philipp und dem Fritz

»Der fleißige Philipp und der faule Fritz«. Ein Sang aus dem Reiche des hl. Bürokratius
Verfasser: Ein unbekannter Wiener Beamter um die Jahrhundertwende.
o.O., o.J. (Privatdruck wahrscheinlich Wien, ~1960), 31 S.
[Verf. Eduard Sacken; erschienen mit anderem Titel ab ~1900 in Wien]

[Anmerkungen dazu: siehe unten]


Der fleißige Philipp und der faule Fritz [S. 1–3]

Das Avancement [S. 4–6]

Der Schieber [S. 7–12]

Die Einberufung [S. 13–17]

Fritz »oben« [S. 18–25]

Philipps Erhöhung [S. 26–31]



Lt. Angaben des Antiquariats »Academia«/Freiburg: Anonymus, Freiburg: J. Dilger’sche Buchdruckerei, 1. Aufl. 1902, 68 pp. – das muss nicht unbedingt stimmen; für den hier herangezogenen Druck (der keinerlei robuste Hinweise auf Verfasser, Ort, Verlag, Jahr enthält) lässt sich jedenfalls feststellen:
1. wäre die korrekte Seitenanzahl 31;
2a. wird als Titelschrift die Diskus verwendet; von Martin Wilke (*1903, † 1993) 1938 für die D. Stempel AG (Berlin) entworfen (in halbfett erschien sie 1939), folgt sie stilistisch der 1937 in den USA entworfenen Coronet von Robert Middleton. 1902 ist drucktechnisch unmöglich.
2b. kommt als Brotschrift die (DIN) Neuzeit Grotesk (danke, Andrej Waldegg!) zum Einsatz, eine von Wilhelm Pichler (*1904, † 1989) 1929 entworfene Schrift. Wie bei der Diskus in engem Lizenzzusammenhang mit Stempel, Heidelberger, Linotype. Die Neuzeit kam v.a. in den 1970ern als Auszeichnungsschrift noch vielfach zum Einsatz.
3. Das Bändchen und seine Leimung, das Papier und die Druckausführung haben eher gar nichts mit +/- 1900 zu tun, sondern weisen eher auf die Zeit der 1950er–70er Jahre (sintemal hinsichtlich eines Privatdrucks wie des vorliegenden) hin. Hinzu kommt, dass nicht nur dis Diskus und die Neuzeit zum Einsatz kommen, sondern geht man die Druckschrift Zeile für Zeile durch, mehrere Fehler auftreten (andere Typos, Serifen inmitten all der Nichtserifen et cetera). Es wäre also zumindest zu mutmaßen, dass hier eine kleine (sonst: Visitkarten- und Urkunden-?) Druckerei am Werk war.
4. Die vorliegende administrative Poeterey wurde zweifelsfrei von (den Zeitumständen geschuldet:) einem österreichischen Beamten verfasst. Weshalb der nach Freiburg den Druckauftrag hätte vergeben sollen, erscheint zumindest fraglich. Nachdem die obgenannte Typo mit der Heidelberger AG in einen engeren Lizenzzusammenhang zu bringen ist, diese als Unternehmen mit ihren Linotypes und Maschinen durchaus international reüssierte, ist ein Deutschland-Bezug nicht zwingend.

In einem Verzeichnis von «Struwwelpetriaden« findet sich nun der wahrscheinlich wesentliche Hinweis:

Der brave Philipp und der schlimme Fritz: eine lustige Beamtengeschichte / von Edmund von Sacken. – 3. Aufl. – Wien: Lechner, 1900. – 41 S.; 20 cm; Heft […] KVK (ab 3. Aufl.) — DS (3. Aufl.), Rüh (9. Aufl. 1934)
Sehr erfolgreiche Beamtenparodie in Reimen. In 6 Kapiteln wird das Auf und Ab zweier extrem unterschiedlicher Beamter mit durchaus erzieherischer Absicht erzählt, denn jedes Kapitel endet mit einer moralischen Zusammenfassung, die sich direkt an die Kinder wendet. Allerdings ist die moralische Gemengelage nicht so eindeutig, da das parodistische Element nicht zu übersehen ist. Schließlich erlebt der »schlimme Fritz« auch keinen absoluten Sturz, sondern wird nach »oben weggelobt«, während der fleißige Philipp lediglich auf seinen freiwerdenden Platz nachrückt. Außerdem fehlt diesem reinen Textbuch jeglicher Bilderbuchcharakter, so daß die Zuordnung nur zu den Struwwelpeter-Verwandten erfolgt, obwohl sowohl Elemente einer Struwwelpeter-Parodie (Erwachsene) und einer Gegenüberstellungs-Struwwelpetriade enthalten sind. Der Schriftsteller Edmund Freiherr von Sacken (*1861 in Pottschach/Niederösterreich, †1934 in Mondsee/Oberösterreich) war im Hauptberuf Ministerialrat, wußte also, wovon er schrieb.

Reiner Rühle: Böse Kinder. Kommentierte Bibliographie von Struwwelpetriaden und Max-und-Moritziaden mit biographischen Daten zu Verfassern, Illustratoren und Verlegern, Bd. 2. Osnabrück: Th. Wenner 2019 [.pdf], S. 518.

Dass der Band neu aufgelegt von Edmund Sacken – der wäre neben ein wenig Schriftstellerei u.a. & v.a. Ministerial-Rath im Ackerbau-Ministerium und dortselbst den Staats-Handbüchern zufolge »Vstd. des Präs. Bur. (extra statum)« gewesen, im Jahr der ersten Drucklegung (ob nun 1900 oder 1901, s.u.) Ministerial-Secretär und »Landw. Lieut. (extra Status)«; Sohn des Archäologen und Kunsthistorikers Eduard (Freiherr von) Sacken, überdies saß er in Erich Kielmannseggs Schulungskurs für die neue Kanzleiordnung 1906ff. (was an anderer Stelle noch sehr interessant zu werden verspricht, denn die Welt der österr. Zentralstellen ist nun eimal eine kleine) – stamme, 1934, ist zumindest in einigen Verzeichnissen zu finden, ebenso Angaben zu einer EA 1900 bzw. 1901 bzw. 1902 (alle für den Wr. Verlag Lechner, in dem auch das Büchlein aus 1934, im Todesjahr Sackens, platziert sein wird); es erscheint plausibel.

Das allerdings erklärt noch nicht, weshalb in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Privatdruck davon veranstaltet worden ist, der ohne alle weiteren Angaben und zudem mit einem teils veränderten Titel und einem erheblich veränderten Untertitel erscheint.

Die Kleine Volks-Zeitung (S. 6, Rubrik »Todesfälle«) meldet am 9. Oktober 1934: »Sektionschef i. R. Edmund (Freiherr v.) Sacken, der ehemalige lang­jährige Präsidialvorstand im Ackerbau­ministerium, ist im Alter von 73 Jahren ge­storben.«