qpn

»Wie lange noch Catilina, mißbrauchst Du unsere Geduld, patientia nostra?« – mit dieser Frage eröffnet Cicero nicht nur den Prozeß um die catilinarische Verschwörung, mit ihr soll einer Legende zufolge auch eine Schrift einsetzen, die sich seither äußerst erfolgreich an gesprochene Worte heftet: eine Schrift aus Ungeduld über das langsame und mühsame Mitschreiben auf widerspenstigen Unterlagen, die wegen ihrer Schnelligkeit Tachygraphie genannt wird. Sie bezieht ihre Ökonomie aus Auslassungen, exceptiones. Nach einer Erfindung von Ciceros Privatsekretär, dem freigelassenen Sklaven Tiro, läßt sie Vokale aus und notiert den denkbar minimalsten Gegenwert der Stimme in Schrift: die Konsonantenzeichen. Im Rotationsverfahren mitschreibend bewältigen die nach ihrem Handwerk benannten exceptores von da an senatorische Wortschwälle im nicht-phonographischen Medium der Schnellschrift. Im Fall der Eröffnungsfrage des Prozesses hätten sie Vokale herausgekürzt, Verben sogar vollständig weggelassen und schlicht die Anfangsbuchstaben qpn für »quosque abutere patientia nostra?« hingeschrieben, die, zu einem einzigen Zeichen verdichtet, stellvertretend für die gesamte Frage stehen. Dieses Zeichen reicht aus, um alle Redundanzen der Rede zu speichern.
Die Initialien qpn initiieren eine Aufschreibetechnik, die nicht nur mit dem Redetempo von Senatoren Schritt hält, sondern auch mit den Übertragungsgeschwindigkeiten im gesamten römischen Reich. Mit der Schnellschrift wird es expandieren, mit ihr wird es, einem ihrer Chronisten zufolge, verschwinden. Tatsächlich wird die aus Kürzeln bestehende Tachygraphie mit dem Untergang des Imperium Romanum – bis auf wenige zu Herrscher-Insignien geadelte Sigeln – verboten. Chiffren sind byzantinischen Kaisern so verdächtig wie später amerikanischen Präsidenten Kryptographien auf elektronischen Trägern, welche, als Waffe eingestuft, ebenso einem Verbot unterliegen sollen.
Eine Kontrolle über Zeichen, die konspirative Aktionen zweifellos wirksamer unterbindet als irgendwelche Zensurmaßnahmen an Volltexten, ist vor allem Kontrolle über gesprochene Worte, welche ansonsten flüchtig blieben wie Diebe. Reden evozieren schon darum die typischen Akte des Rechts, klare Verhältnisse zu schaffen und Zurechenbarkeit sicherzustellen. In der Sphäre des Rechts selbst fällt kein Wort, das nicht durch notierend-notarielle Akte dingfest gemacht wird, angefangen bei den Sitzungen des römischen Senats über die Mitschriften in Gerichtsverhandlungen bis hin zu den Handlungen der Verwaltung. Für diese bringt Max Weber das Paradox verschriftlichter Mündlichkeit im knappen Stil einer Geschäftsordnung auf den Punkt: »Es gilt das Prinzip der Aktenmäßigkeit der Verwaltung, auch da, wo mündliche Erörterung tatsächlich Regel oder geradezu Vorschrift ist.« Je bindender Rechtsakte sein sollen, desto ausführlicher wird mitgeschrieben. Und umgekehrt, je detaillierter die Mitschrift, desto höher ist ihre Bindungswirkung.

Cornelia Vismann: Action writing: Zur Mündlichkeit im Recht. In: Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Kultur- und Mediengeschichte der Stimme. Hg. v. Friedrich Kittler, Thomas Macho u. Sigrid Weigel. Berlin: Akademie Verlag 2002, S. 133–152, hier S. 133f.

Anm.: Vismann koppelt hier mittels der ›Schnittstelle Protokoll‹ Aufzeichnungen politischer römischer Rhetorik mit Webers Begriff von moderner Verwaltung. Und: es wäre – Quellenlage … – vorsichtiger zu formulieren, dahingehend, dass Cicero mit der berühmten Frage den Prozess eröffnet haben soll.