Hier nimm diesen Beutel, prüfe was darin ist, und sage mir was du gefunden hast. Beim Weggehen setzte er fast scherzend hinzu: verstehe mich recht, chemisch prüfe es, mein Sohn; ich bleibe dieses Mal länger aus. – Wie froh war ich, als ich wieder was zu untersuchen hatte, denn nun, dachte ich, will ich mich besser in acht nehmen. Gibt acht, sprach ich zu mir selbst, es wird glänzen, und wenn es glänzt, so ist es gewiß die Sonne, oder sonst ein Fixstern. Als ich den Beutel aufzog, fand ich ganz wider meine Erwartung, ein Buch in einem nicht glänzenden einfachen Bande. Die Sprache und Schrift desselben waren keine der bekannten, und obgleich die Züge mancher Zeilen flüchtig angesehen, ziemlich so ließen, so waren sie es, näher betrachtet, doch ebensowenig als die verwickeltsten. Alles was ich lesen konnte, waren die Worte auf dem Titelblatt: Dieses prüfe mein Sohn, aber chemisch, und sage mir was du gefunden hast. Ich kann nicht leugnen, ich fand mich etwas betroffen, in meinem weitläuftigen Laboratorio. Wie, sprach ich zu mir selbst, ich soll den Inhalt eines Buchs chemisch untersuchen? Der Inhalt eines Buchs ist ja sein Sinn, und chemische Analyse wäre hier Analyse von Lumpen und Druckerschwärze. Als ich einen Augenblick nachdachte, wurde es auf einmal helle in meinem Kopf, und mit dem Licht stieg unüberwindliche Schamröte auf. O! rief ich lauter und lauter, Ich verstehe, ich verstehe! Unsterbliches Wesen, O vergib, vergib mir; ich fasse deinen gütigen Verweis! Dank dem Ewigen daß ich ihn fassen kann! – Ich war unbeschreiblich bewegt, und darüber erwachte ich.
Georg Christoph Lichtenberg: Ein Traum. (1794)
Schriften und Briefe. Band 3, München 1967 ff., S. 109f.