Die Tabellenzeitung
Warum machen sich eigentlich die Leute das Leben so schwer?
Die Leser müssen die ganze Zeitung durchfliegen, bis sie etwas gefunden haben, was sie interessiert – und die Journalisten müssen das alles schreiben … Warum? Wozu? Es geht viel einfacher.
Es hat sich doch nun im Lauf der Zeit herausgestellt, daß dieselben Ereignisse immer wiederkehren. Früher war es: »Paschitsch bildet ein neues Ministerium« … man konnte die Zeitung aufschlagen, wann immer man wollte –: stets bildete der alte Paschitsch ein neues Ministerium. Er muß 1003 gebildet haben.
Heute ist das nicht anders. Die Zeitung teilt uns in gefälliger Aufmachung nur das mit, was wir schon wissen. Wenn wir es aber schon wissen, dann fesselt doch nur noch die Menge des Geschehens und die Tatsache, daß es geschehen ist.
Vereinfachen wir uns also das Leben, den schwer geplagten Journalisten die Arbeit und dem Leser die Abendstunden und machen wir, weil wir sonst keine Sorgen haben, die
Die Tabellenzeitung.
als Kaspar Hauser: Die Weltbühne, 29.10.1929, Nr. 44, S. 675.
als Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 7, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 230f.