K. u. k. Ministerium des Kaiserl. und königl.
Hauses und des Äußern.
Kanzleiverordnung
In der letzten Zeit wurde wiederholt bemerkt, daß selbst in Angelegenheiten nichts besonders dringender Natur der telegraphische Korrespondenzweg gewählt wird, sowie, daß in Fällen, in welchen Telegramme am Platze sind, die Textierung derselben eine zu weitläufige ist.
Im Interesse der tunlichsten Schonung der h. o. budgetären Mittel wird daher in Erinnerung gebracht, daß der telegraphische Weg nur im Falle unbedingten Erfordernisses zu benützen ist und die notwendigen Telegramme – ganz besonders jene nach überseeischen Ländern – bei Hinweglassung aller überflüssigen Courtoisieformeln möglichst kurz zu fassen sind.
Wien, am 31. Dezember 1909.
Aehrenthal
Aehrenthals Nachfolger im Ministeramt, Berchtold, und ihre Eliten der österreichisch-ungarischen Bürokratie waren wesentlich und willentlich an der Auslösung des Ersten Weltkriegs beteiligt, weshalb Medien, Verwaltung sowie deren Schaltkreise schon umfassend zur Stelle waren, als dann 1914 der Krieg mit der Übertragung eines Telegramms aus dem »k. u. k. Hoftelegraphenamt«, auf Veranlassung des »k. und k. Ministeriums des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern«, ein- und mehr als bloß die Monarchie unter Strom setzte. man hat sich also nicht sehr an die Vorschläge zur Beschränkung gehalten. Der Kurznachrichtenverkehr im Juli 1914, die Depeschen und Telegramme die über den Ballhausplatz 2 (das Ministerium) und den Ballhausplatz 1 (das Telegraphenamt) gingen, danach zwischen Belgrad, Wien, Berlin und Bad Ischl schwirrten und wer hier über all dies wachte – diese Geschichte ist noch zu schreiben.
nun meldete ihm das Telegramm in einer ausführlichen, aus halb unterdrückten Vorwürfen und voller Todesfeierlichkeit wunderlich gemischten Weise, die sein Vater offenbar selbst noch auf das genaueste geregelt und aufgesetzt hatte, das Ableben seines Erzeugers
Musil, MoE I.2.123: Die Umkehrung
»Setze dich von meinem erfolgten Ableben in Kenntnis« hatte der alte Herr ihm mitteilen lassen – oder sollte man sagen mitgeteilt? – und darin drückte sich das schon aus, denn darunter stand die Unterschrift »dein Vater«.
Musil, MoE II.1: Die vergessene Schwester
Heiliges Hysteron Proteron! (Sehr wahrscheinlich die Trope des Telegrammstils und – en passant vermerkt: – der Bürokratie.) Niemand fasste sich so kurz & natürlich wird wieder niemand Fontane gelesen haben:
»Aber du hast da ja was wie ’n Telegramm in der Hand. Ich kann Telegramms nicht leiden. Immer is einer dod, oder es kommt wer, der besser zu Hause geblieben wäre.«
»Es ist das mit dem Telegraphieren solche Sache, manches wird besser, aber manches wird auch schlechter, und die feinere Sitte leidet nun schon ganz gewiß. Schon die Form, die Abfassung. Kürze soll eine Tugend sein, aber sich kurz fassen, heißt meistens auch, sich grob fassen. Jede Spur von Verbindlichkeit fällt fort, und das Wort ›Herr‹ ist beispielsweise gar nicht mehr anzutreffen. Ich hatte mal einen Freund, der ganz ernsthaft versicherte: ›Der häßlichste Mops sei der schönste‹; so läßt sich jetzt beinahe sagen: ›Das gröbste Telegramm ist das feinste‹. Wenigstens das in seiner Art vollendetste. Jeder, der wieder eine neue Fünfpfennigersparnis herausdoktert, ist ein Genie.«
Theodor Fontane: Der Stechlin, 1897/98 (1. & 3. Kapitel)
– »Ja, Herr von Stechlin, alles Zeichen der Zeit. […] Alle diese Neuerungen, an denen sich leider auch der Staat beteiligt, was sind sie? Begünstigungen der Unbotmäßigkeit, als Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie. Weiter nichts.«
»Der Teufel is nich so schwarz, wie er gemalt wird, und die Telegraphie auch nicht, und wir auch nicht. Schließlich ist es doch was Großes, diese Naturwissenschaften, dieser elektrische Strom, tipp, tipp, tipp, und wenn uns daran läge (aber uns liegt nichts daran), so könnten wir den Kaiser von China wissen lassen, daß wir hier versammelt sind und seiner gedacht haben. Und dabei diese merkwürdigen Verschiebungen in Zeit und Stunde. Beinahe komisch.«
Ergänzung:
»Das ist das Zeichen unsrer Zeit jetzt, ›angebrannt und angeätzt‹. Und wenn ich dann bedenke, daß meine Globsower da mittun und ganz gemütlich die Werkzeuge liefern für die große Generalweltanbrennung, ja, hören Sie, meine Herren, das gibt mir einen Stich. Und ich muß Ihnen sagen, ich wollte, jeder kriegte lieber einen halben Morgen Land von Staats wegen und kaufte sich zu Ostern ein Ferkelchen, und zu Martini schlachteten sie ein Schwein und hätten den Winter über zwei Speckseiten, jeden Sonntag eine ordentliche Scheibe, und alltags Kartoffeln und Grieben.«
ibidem. (6. Kapitel)
»Aber Herr von Stechlin«, lachte Lorenzen, »das ist ja die reine Neulandtheorie. Das wollen ja die Sozialdemokraten auch.«
Die Geschichte weiß es: 1890, lange vor Marinettis Manifest und dem neuen Lakonismus deutscher Expressionisten, wenn Nacht über den Berliner Königsplatz kam, brannte in der Roten Bude dem Hauptquartier des Kaiserlichen Generalstabs, noch eine einsame Lampe. Graf Alfred von Schlieffen hatte alle tagsüber von seinen Untergebenen vorbereiteten Akten auf den Chefschreibtisch befohlen und schritt zu einer letzten Durchsicht. Unerbittlich strich sein roter Bleistift redundante Adjektive und redundante Personalpronomen wie ich. Als hätte er eben den Stil von Futurismus und Expressionismus erfunden …
Friedrich Kittler: Im Telegrammstil. In: Stil. Geschichten und Funktionen eines literaturwissenschaftlichen Diskurses, hg. v. Hans Ulrich Gumbrecht u. Karl Ludwig Pfeiffer. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986, S. 358–370., hier S. 358f.
In Tat und Wahrheit wandte Schlieffen aber nur technische Regeln auf Schriftstücke an. Die doppelte Streichung von Adjektiven und Personalpronomen kennzeichnet bekanntlich Telegramme. Und die machten gerade militärische Karriere. 1911 entstand das Telegraphenkorps der kaiserlichen Armee (für einen historischen Überblick vgl. Lerg, 2. Aufl. 1970, S. 33–36). Aber schon 1909, im selben Jahr wie Marinettis Manifest [und Aehrenthals Verordnung, s.o.; Anm.], legte eine berühmte Studie Schlieffens dar, daß Der Krieg in der Gegenwart ohne Feldherrnhügel, Theatralik und Mündlichkeit eines Napoleon auskommt [Zitat ho. abgelegt unter Bureau].
Schlieffens Worte, so prophetisch wie adjektivarm, überführen Strategie in Nachrichtenfluß und, näherhin, in Telegraphie. Wenn das Fernschreibnetz – wie erstmals in den Kriegen von 1866 und 1870/71 – perfekt aufgebaut ist, folgen Siege von allein.
Nietzsche [grübelte], in Gedanken womöglich noch immer »unter den Mauern von Metz« [1886] über die »Prämissen des Maschinen-ZeitaIters«. »Die Presse, die Maschine, die Eisenbahn, der Telegraph« – laut Menschliches, Allzumenschliches – »sind Prämissen, deren tausendjährige Conclusion noch Niemand zu ziehen gewagt hat« […]. Niemand – außer Nietzsche selber. Denn nach seinen eigenen Worten ist das Buch, das auch der tausendjährigen Konklusion von Telegraphie nachgeht, selber in »Telegrammstil« verfaßt. Der Wandrer und sein Schatten war kaum geschrieben, als Nietzsche einen Brief an Peter Gast sandte: »Fahren Sie fort, bei der Correctur zu winken und zu warnen: Der Boden des Mißverständnisses ist bei dieser Schrift so oft in der Nähe; die Kürze, der verwünschte Telegrammstil, zu dem mich Kopf und Auge nöthigt, ist die Ursache« [1879].
Ibid., S. 363