Unterhaltungsindustrie

Kittler und der eine Satz, der ein abgeleitetes Zitat ist, mutmaßlich aus 1917 stammend (wie 1962 nachzulesen gewesen sein wird etc. …):

Exponentiell anwachsende Funkertruppen aber wollten auch unterhalten sein. Stellungskrieg in Schützengräben ist, bis auf MG-Geplänkel und Trommelfeueroffensiven, nur sensory depravation — Kampf als inneres Erlebnis, wie Jünger so treffend schrieb. Nach drei Jahren Öde zwischen Flandern und Ardennen zeigten die Stäbe Erbarmen: die britischen in Flandern, ein deutscher Stab bei Rethel in den Ardennen. Schützengrabenbesatzungen hatten zwar kein Radio, aber »Heeresfunkgeräte«. Vom Mai 1917 an konnte Dr. Hans Bredow, vor dem Krieg AEG-Ingenieur und nach dem Krieg erster Staatssekretär des deutschen Rundfunks, »mit einem primitiven Röhrensender ein Rundfunkprogramm ausstrahlen, bei dem Schallplatten abgespielt und Zeitungsartikel verlesen wurden. Der Gesamterfolg war jedoch dahin, als eine höhere Kommandostelle davon erfuhr und den ›Mißbrauch von Heeresgerät‹ und damit jede weitere Übertragung von Musik und Wortsendungen verbot!«
Aber so läuft es. Unterhaltungsindustrie ist in jedem Wortsinn Mißbrauch von Heeresgerät.

Kittler, Friedrich (1986): Grammophon Film Typewriter. Berlin: Brinkmann & Bose, S. 149.

Stammen soll im obzitierten Zitat der Satz zum Bredow aus: Hasso v. Wedel (1962): Die Propagandatruppen der deutschen Wehrmacht, Neckargmünd (Wehrmacht im Kampf, Bd. 34), S. 12.

Hier: ein Bild aus dem k.u.k. Kriegspressequartier; denn davon war schon ausführlicher zu schreiben, dass das KPQ ein Medienverbund wurde, wie es bis dahin noch keinen gegeben hatte. Sie ahnten nichts und gingen in den Krieg und kamen medientechnisch derart zugerichtet aus diesem. (Im Grunde wird das für alle Propagandatruppen aller kämpfenden Mächte gegolten haben. Aus diesen Zusammenhängen und einem einschlägig zugerichteten Publikum steißen sich späterhin die 1920er Jahre, die Medienrevolutionen, die nächsten Generationen von Heeresgerätemissbräuchen.) Siehe dazu z.B. Kriegsmedienverbund 1920er:

Technisch betrachtet stehen die Medien der 1910er Jahre zwar noch nicht im Zeichen eines tatsächlichen Verbundsystems; sie sind es jedoch bereits personell und in den Köpfen, sie sind es im Sinne eines Anforderungsprofils der kriegsführenden Monarchien und Republiken sowie deren jeweiliger Heeresführungen. Die Entwicklung des KPQ macht deutlich, dass die medialen Erfahrungen und Nutzungen der 1910er Jahre zu einem Propädeutikum der modernen Medienverbünde in der Zwischenkriegszeit wurden. Was seitens des Militärs nicht mehr für eigene Zwecke und auf unbestimmte Rechnungslegung hin usurpiert wird, erfährt nach dem Ersten Weltkrieg einen zivilen Massengebrauch mit kommerzieller wie künstlerisch orientierter Nutzung. Aus der intensiven Nutzung medialer Möglichkeiten durch das Militär und seine publizistischen Einflussbereiche gehen zahlreiche im medialen Umgang versierte und geschulte (d.h. auch: überlebt habende) Proponenten in ein neu zu konsumierendes Zivilleben, d.h. auch: Verwaltungstätigkeit und Wirtschaftstreiberei, über.

Dass es nicht nur um eine neue Form plakativer Kunst, sondern letztlich auch um die Überführung der Unterhaltungsindustrie und des künftigen Heeresgerätes in die Bereiche der Röhrenverstärkung und binären Codierungen gegangen sein wird, dass die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg zwingend Vorbedingungen für die Entwicklung moderner Medienauffassung und Nachrichtenballistiken zu zeitigen vermochten, lässt sich exemplarisch für die USA zeigen. Die Gruppe von Mathematikern und Ingenieuren, die John von Neumann und andere (etwa in Princeton, am Institute for Advanced Study) aufbauten, kam zu einem nicht geringen Teil aus Kampfhandlungen und/oder zumindest der Kriegsforschung der Armee, hatte dort unterschiedlichste praktische Erfahrungen und Anforderungen gesammelt respektive bewältigt.

Ähnliches lässt sich für die meisten derjenigen ansetzen, die aus Europa kommend diesen Kreis erweitern werden. Von ihren Funktionen im Ersten Weltkrieg ausgehend entwickelten Ingenieure, Mathematiker und Techniker die Anwendungen für Bomben, Signal- und Steuerungssysteme sowie die effektive Anschlussfähigkeit der unterschiedlich codierten Kanäle – und wie nebenbei eine digitale Revolution.Derartige Entwicklungen waren keineswegs auf die USA beschränkt. Die medialen und technischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs wirkten sich aus; es kam zur flächendeckenden Bespielung der Bevölkerung mit einer vor 1914 kaum denkbaren, jedenfalls so nie erfahrenen Medienexplosion in Sachen Frequenz, Vielfalt, Angebot (bei gleichzeitig gelernter Fähigkeit zur Fokussierung auf Kernbotschaften und Optimierung von Medienkanälen). Hier wurden Inhalte, Möglichkeiten, technische Probleme und deren Lösungen, hier wurden in Permanenz Kulturtechniken vermittelt, angeeignet und verhandelt.