Johann Peter Hebel: Fürchterlicher Kampf eines Menschen mit einem Wolf (Der Rheinländische Hausfreund oder …; 1809) – in der Folge zitiert nach Gesammelte Werke Bd. 3, hg. v. Jan Knopf, Franz Littmann u. Hansgeorg Schmidt-Bergmann. Göttingen: Wallstein, S. 173f.
Hierneben ist zum sehen ein Mensch, der mit einem grausamen Tiere kämpfte. Der Mensch wurde Meister und das Thier ist todt.
In Frankreich ist ein Departement, heißt Goldhügel. In diesem Departement befindet sich eine kleine Landschaft, genannt Saulieu, (mußt lesen Soliö). Diese Landschaft bekam im Merz des Jahrs 1807 einen schlimmen Besuch von einem reißenden Tier, wie man noch keines daselbst gesehen hatte, hier zu Land auch nicht. Es hatte Aehnlichkeit mit einem Wolf, wird auch einer gewesen seyn. Doch hatte es eine kürzere Schnautze als ein gemeiner Wolf, war lang und mager und mit langen dunkelgrünen Haaren besetzt. Diese grausame und blutgierige Bestie wüthete mehrere Tage lang zum Schrecken der Einwohner in dem Lande herum, grif Menschen und Thiere an, wagte sich sogar am 30. Merz am hellen Tag auf der Landstraße an die Reisenden, zerriß einen Conscribirten, zerfleischte zwey Mägdlein und einen Knaben und blieb selbige Nacht nahe bey dem Hause eines Landmannes, Namens Machin, im Gebüsche übernacht. Der gute Machin, der an eine solche Schildwache vor seinem Hause nicht dachte, gieng des Morgens früh um 3 Uhr, als es noch ganz finster war, aus dem Hause. Da hörte er etwas rauschen im Gebüsch, glaubte es sey die Katze, die sich vor einigen Tagen verlaufen hatte, und rief seiner Frau, die Katze sey da. Aber in dem nemlichen Augenblick springt das Unthier wüthend auf ihn los. Er wirft es zurück. Es kommt wieder, stellt sich auf die Hinterfüße, drückt ihn zwey Schritte weit an die Wand zurück, und packt ihn mit einem Rachen voll scharfer starker Zähne wüthend an der linken Brust. Vergehens sucht er sich loszumachen. Das Thier setzt immer tiefer seine Zähne ein, und verursacht ihm die entsetzlichsten Schmerzen. Da umfaßt es der herzhafte und starke Machin mit beyden Armen, drückt es fest an sich, ringt mit ihm bis er es im Hause hat, wirft sich mit ihm auf einen Tisch, so daß das Thier unten lag, und rief seiner Frau, daß sie ein Licht anzünde. Aber Frau und Kinder wagten es nicht, sich zu nähern, und das Thier biß sich immer tiefer und tiefer in die Brust des unglücklichen Mannes ein, bis endlich die älteste Tochter von 22 Jahren sich ermannte, und mit einem Licht und einem Messer herbeyeilte. Der Vater drückt so stark er kann, mit seinem Körper auf das Thier, zeigt ihr mit der linken Hand, wo sie hineinstechen müsse, daß das Ungeheuer sicher getödtet werde. Noch biß sich die Bestie immer tiefer und tiefer ein, während die Tochter den kühnen und glücklichen Stich that, und ein paarmal das Messer in der Wunde umkehrte. Aber jezt schoß das heisse schwarze Blut wie ein Strom aus der tödtlichen Wunde hervor, das Best fieng an die Augen zu verdrehen, und es war ihm nicht, als wenn es noch viele Buben und Mägdlein verreissen wollte. Aber erst nachdem es sich völlig verblutet hatte, war man imstande, die Brust des braven Machin von ihm loszumachen, so fest hatte es sich mit seinen mörderischen Zähnen eingehauen. Drauf wurde das Unthier vollends todtgeschlagen und verlocht. Machin aber hatte doch lange an seiner Brust zu leiden und zu heilen, und sagt, er wolle sein lebenlang dran denken.