Von Bienen und Ameisen, 1914–1918

Es änderten sich wesentlich die Sicht auf Gesellschaft und die (bis in die soziologische und biologische Fachliteratur hinein) zulässigen Modellerzählungen davon. Der Umbruch des Ersten Weltkriegs etabliert endgültig den Übergang vom Individuum zum Plural zum Schwarm (diesen literarisierten und in der Soziologie wie Entomologie angewandten Organisationsmodellen mit dezentralem Charakter – wie autonom agierende Stoßtrupps – bestehen lange bevor die Technik zu derartigen Vernetzungsleistungen effektiv in der Lage ist). Vor 1914 und noch während des Krieges gab der Bienenstock ein verbreitetes, als monarchisch dechiffrierbares Gesellschaftsmodell ab, nach 1918 übernahm diese Rolle der Ameisen- respektive Termitenstaat und der »Schwarm« machte Karriere bis in unsere Tage.

Ein Beispiel wäre das sich stets bloß verteidigende  Himmelsvolk (1915; 1918 bereits 150 Auflagen) der Biene Maja (1912; 1918 bereits 200 Auflagen) des – natürlich auch er ein Kriegsberichterstatter im WKI – Waldemar Bonsels (vgl. Viel, Bernhard: Der Honigsammler. Waldemar Bonsels, Vater der Biene Maja. Eine Biografie. Berlin: Matthes & Seitz 2015, S. 198: »Bonsels geht aus dem Krieg als Sieger hervor.«), während nach 1918 Ernst Jünger mit seinen Arbeitern und Termiten (bis hin zu den bereits kybernetischen Gläsernen Bienen 1957) reüssieren wird. Oder Maurice Maeterlinck: 1901 schreibt er über Das Leben der Bienen, 1926 Das Leben der Termiten und 1930 schließlich Das Leben der Ameisen.

Ameisen und das 116. Athenäums-Fragment. Eine Auseinandersetzung.

Vgl. dazu grundsätzlich Niels Werber: Ameisengesellschaften. Eine Faszinationsgeschichte. Frankfurt/M.: S. Fischer 2013; vgl. weiters Benjamin Bühler, Stefan Rieger: Vom Übertier. Ein Bestiarium des Wissens. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006 und dort die Abschnitte Biene (S. 60–75) und Ameise (S. 15–26). 


Dies festgestellt eine Ergänzung: In Musil Mann ohne Eigenschaften(Kapitel 83; Seinesgleichen geschieht oder warum erfindet man Geschichte) findet sich ein Hinweis auf die Arbeitsteilung des Bienenstaats; die erzählte Zeit des Romans hält da bei etwa Ende 1913. Verfasst wird das Kapitel in den 1920er Jahren.

Man hat gewisse Fragen den Menschen aus dem Herzen genommen. Man hat für hochfliegende Gedanken eine Art Geflügelfarm geschaffen, die man Philosophie, Theologie oder Literatur nennt, und dort vermehren sie sich in ihrer Weise immer unübersichtlicher, und das ist ganz recht so, denn kein Mensch braucht sich bei dieser Ausbreitung mehr vorzuwerfen, daß er sich nicht persönlich um sie kümmern kann. Ulrich in seiner Achtung vor Fachlichkeit und Spezialistentum, war im Grunde entschlossen, nichts gegen eine solche Teilung der Tätigkeiten einzuwenden. Aber er gestattete sich immerhin noch selbst zu denken, obgleich er kein Berufsphilosoph war, und augenblicklich malte er sich aus, daß das auf den Weg zum Bienenstaat führen werde. Die Königin wird Eier legen, die Drohnen werden ein der Wollust und dem Geist gewidmetes Leben führen, und die Spezialisten werden arbeiten. Auch eine solche Menschheit ist denkbar; die Gesamtleistung möchte vielleicht sogar gesteigert werden.