Vorrede; fibelhaft

Aus: Jean Paul: Leben Fibels, des Verfassers der Bienrodischen Fibel [verf. 1806—11, publ. 1812]

Vorrede

Kein Werk wurde von mir so oft – schon den 16. Nov. 1806 das erste Mal – angefangen und unterbrochen als dieses Werkchen. Daraus sollte man (scheint es) mutmaßen, daß ich meine eignen jährlichen Veredlungen und Erhebungen im Buche von Zeit zu Zeit nachgetragen und nachgeschossen hätte; und ich hätte den Schaden, daß man vom Werklein sich etwas verspreche. Nimmt also ein irrender Leser dasselbe darum in die Hand, um sich darin auf seinem Sessel mit den größten Himmels- und Erden-Stürmern, die es je gegeben, in Bekanntschaft zu setzen – und mit Riesenkriegen gegen Riesenschlangen auf Riesengebirgen – mit reißenden Höllenflüssen der Leidenschaften mit – Nachhöllen voll Kreuzfeuer romantischer Liebes-Qualen – mit weiblichen Erzengeln und männlichen Erzteufeln – ja mit Ober-Häuptern, welche auf Staatsgebäuden als Drachen-Köpfe von Tränen-Rinnen den Regen in die Traufe verwandeln –; nimmt darum der Leser geneigt mein Buch in die Hand: so wart’ er so lange, bis ers durchgelesen hat, um nach einem andern zu greifen, worin dergleichen Sachen wirklich stehen. Wahrlich in diesem steht nichts – einige wenige harmlose, schuldlose, lichtlose, glanzlose Leute mit ähnlichen Schicksalen durchleben darin ihr Oktavbändchen – das Ganze ist ein stillendes Still-Leben – eine Wiege erwachsener Leser zum Farniente – ein leises graues laues Abendregnen, unter welchem statt der Blumen etwan die unscheinbare Erde ausduftet, wozu höchstens noch ein Fingerbreit Abendrot und drei Strahlen Abendstern kommen möchten.

Weiter gibts nichts darin, im Buch.

Wendet man sich freilich am Ufer um von diesem stillen Meerchen und blickt landeinwärts in das Treiben und Laufen jetziger Zeit und Politik samt deren darangehängten Menschen: so erstaunt man über den Unterschied und Glanz dieser Treiber und Läufer und vergleicht sie bald mit den sogenannten Bergmännlein, welche neben den Bergknappen so ausnehmend arbeiten, in Stollen fahren, Fäustel handhaben, Erz hauen, Bergzuber ausgießen, Haspel ziehen – –

Freilich tun – tun die Kobolde eigentlich nichts, und die Tätigkeit bleibt mehr akustisch und optisch, während der liegende Bergknappe schönes Erz gewinnt. So haben leise Menschen tiefer, wenigstens fruchtbringender in die Zukunft hinein gehandelt als laute; den Stillen im Lande wurde öfters Raum und Zeit das Sprachgewölbe, das sie zu den Lauten außer Landes machte.

So möge denn den weißen kleinen Lämmerwolken dieser Bogen ein Durchzug am literarischen gestirnten Himmels-Gewölbe oder Laden-Gewölbe verstattet werden, obgleich Lämmerwolken weder blitzen und donnern, noch erschlagen und ersäufen. Ich für meine Person bekenne gern, daß ein solches Werkchen, wie ich eben hier der Welt darreiche, mir, wenn ichs von einem Dritten bekäme, ein gefundnes Essen wäre und Leben in mich brächte; denn ich würd’ es auf die rechte Weise lesen, nämlich Ende Novembers (der wie der April und der Teufel immer schmutzig abzieht) oder auch sonst bei starkem Schneegestöber und Windspfeifen – ich würde an einem solchen Abend mehr Holz nachlegen lassen und die Stiefel ausziehen, ferner die politischen Zeitungen einen Tag zu lange liegen oder sie ungelesen fortlaufen lassen – ich würde Mitleid mit jeder Kutsche haben, die zum Tee führe, und mir bloß ein Glas und ein vernünftiges Abendbrot aus der Kindheit bestellen und für den Morgen ein Halbes Lot Kaffee Überschuß, weil ich schon voraus wüßte, wie sehr ich durch ein so treffliches, ruhiges Buch (wofür dem Verfasser ewiger Dank sei!) zur Anspannung für ein eignes glänzendes ausgeholet hätte….

So würd’ ich das Werkchen lesen – aber leider hab’ ich es selber vorher gemacht.

Baireuth, den 17ten Jenner 1811

Jean Paul Fr. Richter