Vulkan

Die Welt wurde damals von allerlei erschüttert, und wer gegen das Ende des Jahres neunzehnhundertdreizehn gute Nachrichten besaß, hatte das Bild eines kochenden Vulkans, wenn auch die von der friedlichen Arbeit ausgehende Suggestion, dieser könne niemals wieder ausbrechen, allgemein war. Sie war nicht allgemein gleich stark. Die Fenster des schönen alten Palais am Ballhausplatz, wo Sektionschef Tuzzi waltete, warfen oft noch spät abends Licht in die kahlen Bäume des gegenüberliegenden Gartens, und gebildete Bummler, wenn sie nachts vorbeikamen, faßte Schauer an. Denn so wie der heilige Josef den gewöhnlichen Zimmermann Josef durchdringt, durchdrang der Name »der Ballhausplatz« den dort stehenden Palast mit dem Geheimnis, eine des halben Dutzends mysteriöser Küchen zu sein, wo hinter verhängten Fenstern das Geschick der Menschheit bereitet wurde. Dr. Arnheim war von diesen Vorgängen ziemlich gut unterrichtet. Er erhielt chiffrierte Depeschen und von Zeit zu Zeit den Besuch eines seiner Beamten, der mit persönlichen Informationen aus der Zentrale kam, die Fenster seiner Hotelwohnung waren auch oft in Front erleuchtet, und ein einbildungs- kräftiger Beobachter hätte glauben können, hier nächtige eine zweite, eine Gegenregierung, eine moderne, apokryphe Kampfanlage der wirtschaftlichen Diplomatie.

Musil, Robert, MoE Kap. 86: Der Königskaufmann und die Interessenfusion Seele-Geschäft. Auch: Alle Wege zum Geist gehen von der Seele aus, aber keiner führt zurück (GA 2, S. 103f.)

Denn in entscheidend höherem Maß als in anderen europäischen Staaten des 19. Jahrhunderts war das Wiener Ministerium des Äußern nicht einfach ein Administrationszentrum. Der »Ballhausplatz« fungierte als der wichtigste institutionelle und geistige Sammelpunkt für die politische Führungsschicht der Monarchie, vornehmlich, wenn auch nicht ausschließlich für den Adel und die höhere Beamtenschaft, in Summe für all jene Gruppen, die sich – sei es aus wirtschaftlich-sozialen, sei es aus politischen Gründen – mit der Existenz des mitteleuropäischen Vielvölkerstaates als einer europäischen Großmacht identifizierten. Diese Funktion einer integrativen Institution für die staatstragenden Kräfte war im Außenministerium stärker ausgeprägt als in den vergleichbaren Sozialkörpern der Armee und der Bürokratie anderer Zentralstellen, und sie nahm in dem Maß an Intensität zu, als die Großmachtstellung und die Idee des Gesamtstaates […] von außen und innen zunehmend in Frage gestellt wurden. […] Im bürokratischen Apparat des ›Ballhausplatzes‹ und in dessen Funktionsprinzipien spiegeln sich im gesamten die leitenden Ideen und Probleme wider, die die Geschichte Österreichs bzw. Österreich-Ungarns von 1848–1918 beherrschten oder bewegten. […] Aus all diesen Studien wird deutlich, daß die Erforschung der Geschichte des »Ballhausplatzes« ein wissenschaftliches Unterfangen um »das sublimste Ministerium in einem immens komplexen Doppelstaat« darstellt; dieses war zwar ein »Machtfaktor von nicht zu unterschätzender Bedeutung«, aber ein solcher, dessen Funktionsprinzipien sich »weitgehend dem Blick des Historikers entziehen«. [/] Gemessen am internationalen Standard der Erforschung der auswärtigen Dienste sowohl der einzelnen Großmächte als auch im Rahmen komparatistischer Fragestellungen ist dieser Forschungstand als unbefriedigend zu bezeichnen.

Rumpler, Helmut: Die rechtlich-organisatorischen und sozialen Rahmenbedingungen für die Außenpolitik der Habsburgermonarchie 1848–1918. In: Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band VI/1: Die Habsburgermonarchie im System der internationalen Beziehungen. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1989, S. 1–121, hier S. 1f.