Der fleißige Philipp und der faule Fritz

Titelei


Den Menschen macht vergnügt und froh
Unendlich selten das Bureau,
Es ist vielmehr fast allemal
Genau das Gegenteil der Fall.
Dies wird aus mannigfachen Gründen
Der Kenner sehr begreiflich finden:
Denn alle Akten sind ja schließlich:
Mehr oder weniger verdrießlich:
Bericht und Note, pfui der Teufel,
Sind schrecklich lästig, ohne Zweifel,
Ja, selbst ein Indorsat-Erlaß
Macht in der Regel wenig Spaß,
Und Fälle, welche interessant,
Nimmt äußerst ungern man zur Hand,
Denn scheußlich viel ist da zu schreiben,
Weshalb sie häufig liegen bleiben,
Drum ist der Gang ins Amt hinein
Normalen Menschen eine Pein.
So war’s von Anbeginn bis heute;
Mitunter freilich sieht man Leute,
Die ein Vergnügen daran finden,
Sich bei der Arbeit recht zu schinden,
Doch sind die andern, die normal,
Bedeutend in der Überzahl.

Nun merket auf, denn ich berichte
Von zwei Beamten die Geschichte,
Von denen einer fleißig war,
Der andre träge ganz und gar.

Der eine also, Philipp hieß er – –
So fleißig war kein Mensch wie dieser:
Beim ersten Morgendämmerschein
Ging er schon ins Bureau hinein
Und schrieb, daß ihm die Finger knackten,
Den ganzen Tag an seinen Akten.
Den Einlauf, den erledigt er
Womöglich schon am Tag vorher,
Und was ein Rückstand wird genannt,
Das ist ihm völlig unbekannt.
Ein dicker Akt, den andern greulich,
War für den Philipp hoch erfreulich,
Denn Klarheit haßte er und Kürze,
Ihm war die Schwierigkeit die Würze.
Und war ein Akt auch noch so schwer,
Er fiel mit Wohllust drüber her,
Um ihn zunächst zu priorieren
Und dann mit Gusto zu studieren.
Nun gab er in dem »Sachverhalt«
Dem Ding die richtige Gestalt,
Um dann mit Kunst das Für und Gegen
Im »Votum« gründlich abzuwägen,
Drauf kamen, künstlerisch verschlungen,
Fünf oder sechs Erledigungen.
Doch kam ein Stück, das gänzlich klar
Und frei von Schwierigkeiten war,
Fand doch mit raffiniertem Sinn
Der Philipp einen Haken drin,
Denn er verstand es, alle Sachen
Bedeutungsvoll und groß zu machen;
Und war ein Akt auch noch so strohdumm,
Drei Bögen schrieb er stets als Votum.

So saß der Philipp flink und frisch
Jahraus, jahrein am Aktentisch,
Bis daß sein Sitzfleisch ganz und gar
Bedeckt mit Hühneraugen war.

Der Fritz – ich muß es leider sagen –
War nicht von Pflichtgefühl getragen.
Nichts haßte er auf Erden so,
Wie Aktenschreiben und Bureau;
Um elf Uhr war er noch nicht dort
Und um halb zwei schon wieder fort.
Selbst diese kurze Spanne Zeit
War meist der Arbeit nicht geweiht,
Denn er vertat sie, ’s war nicht schön,
Mit Plaudern und Beiseitegehn.
Den Einlauf sah er flüchtig an
Und legte ihn zur Seite dann,
Er machte höchsten [sic] einen Schieber,
Doch garnichts tun, war ihm noch lieber.
So mehrten sich, was ganz natürlich,
Bei Fritz die Akten ungebührlich,
Sein Schreibtisch war nebst allen Laden
Mit Rückstand zentnerschwer beladen,
Den schätzte man nach Stücken nicht,
Nein, nur beiläufig nach Gewicht.

So ging es fort durch Jahr und Tag,
Bis einst der Chef mit Nachdruck sprach:
»Sie werden selber eingestehen,
So kann es nicht mehr weiter gehen.
Sie sind kaum eine Stund im Tag da
Und schreiben höchstens nur »ad acta«
Ihr Rückstandsausweis ist so dick
Als wie ein ganzes Aktenstück – – 
Kurzum, es muß da was geschehen,
Denn so kann’s nimmer weitergehen.
Sie treten einen Urlaub an,
Weil ich Sie doch nicht brauchen kann,
Der Philipp aber ist, das weiß ich,
Ein Mann der unermüdlich fleißig,
Und darum wird ihm unverweilt
Ihr ganzer Rückstand zugeteilt,
Denn Sie verdienen die Beschämung
Ob Ihrer faulen Amtsbenehmung«.

Nun seht Euch, liebe Kinder, an,
Wohin die Trägheit führen kann:
Darum seid fleißig früh und spät,
Damit’s euch nicht wie Fritz ergeht,
Und merkt euch ein- für allemal
Von der Geschichte die Moral:
Die Bravheit führt allein zum Heil – – 
Mitunter auch das Gegenteil.


Das Avancement [S. 4–6]

Der Schieber [S. 7–12]

Die Einberufung [S. 13–17]

Fritz »oben« [S. 18–25]

Philipps Erhöhung [S. 26–31]