Ägypten

Abgesehen von Friedens Bild auf Ägypten und seine Verwaltungssysteme ist bemerkenswert, dass er für den Zeitraum »der fünften Dynastie (etwa 2750 bis 2600)« Bücher auszumachen vermag

In diese Zeit fällt auch die vollendete Ausbildung der Bürokratie, als deren Erfinder überhaupt die Ägypter angesehen werden können; alle fremden Regierungen, die sich später am Nil etablierten: die Achämeniden, die Ptolemäer, die römischen und byzantinischen Kaiser sind hierin bei ihnen in die Schule gegangen. Durch die ganzen Verhältnisse des Landes waren die Ägypter ja auch von vornherein auf ein möglichst sorgfältig ausgebautes Verwaltungssystem angewiesen. Es wird ununterbrochen kontrolliert, protokolliert, katastriert; nicht das Geringste bleibt unnotiert. Wie der Nilschlamm durch unzählige Kanäle über die ganze Fruchtniederung geleitet wird, so ist das feinmaschige Netz einer spezialisierten Beamtenhierarchie über alles Ägyptische gebreitet. »Schreiber« und »Beamter« sind Synonyme. Überall gibt es Archive, wo, in Krügen verwahrt und gewissenhaft rubriziert, die Akten ruhen. Natürlich hat diese Bürokratie, gerade weil sie die vollendetste war, auch alle Schattenseiten im höchsten Maße entwickelt. Zunächst den Leerlauf des Administrieren, durch den dieses schließlich Selbstzweck wird. Sodann die Korruption und Schlamperei, über die zu allen Zeiten Klagen ertönten: »Ich habe«, erklärt ein Oberarbeiter, »mein Getreide erst bekommen, nachdem ich zehn Tage täglich ›gib es doch‹ gesagt habe«, ein [/] anderer reklamiert einen Esel, der im Instanzenweg verschwunden ist, aber ein Angestellter aus der thebanischen Zeit bleibt bei allem Ärger poetisch: »Was soll das heißen, daß ich dir sage: ›gib zehn Stück Gänse an meine Leute‹ und du dann nicht hingehst zu diesem weißen Vogel und zu diesem kühlen Teich?« Vor allem aber war die Berufsbeamtenschaft von jenem drolligen und lästigen Dünkel erfüllt, den sie zu allen Zeiten besessen hat. Der neue Stand blickte voll Hochmut nicht nur auf die dienende Klasse der Bauern und Handwerker, sondern auch auf die herrschende der Krieger und Grundbesitzer, denn nur er war »gebildet«. Jede andere Tätigkeit ist erbärmlich: »Ich habe den Schmied bei seiner Arbeit gesehen«, sagte ein Dichter des Mittleren Reiches, »da saß er am Loch seines Ofens; seine Finger waren wie Krokodilhaut, er stank mehr als Fischrogen.« Auch der Künstler ist nur ein Kuli: »Der Künstler, der den Meißel führt, muß sich mehr abarbeiten als einer, der das Feld pflügt. Ist er vielleicht in der Nacht befreit? In der Nacht zündet er Licht an!« Und das Resume lautet: »Setze dein Herz hinter die Bücher; es geht nichts über die Bücher.« Aber die Begründung ist sehr banausisch: du kannst dann jeden Posten in der Residenz bekommen.

Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Frankfurt/M.: Zweitausendeins o.J., S. 1129 f.