Prästabilierte Dynamik.
Kanzleiordnungen und der Inside Job informeller Aktenläufe
Dass ein Akt als sowohl prozessgenerierend wie auch prozessgeneriert zu verstehen ist, belegen u.a. die Kanzleiordnungen, juristische Gebrauchstexte, die auf dem Verordnungsweg Gültigkeit von Abläufen sicherstellen sollen und diese zugleich für sich beanspruchen. Diese stellen (Gebot der Actapoiesis, hervorgegangen aus der 1. Verwaltungstriangulation PPP und der 2. Verwaltungstriangulation tmp) sozusagen die Poetologie des Aktes dar – und sollen zugleich deren Umsetzung sicherstellen –, würden ohne diesen nicht gebraucht und richten folgerichtig alle Organisationsbemühungen auf dessen Schaffung (ab actae condita), Pflege, Erhaltung aller rekursiv-grammatologischen Eigenschaften für den Wiederaufruf vor dem Weltgesetz (ressurection; cf. weiters) sowie Prozessierung zur Ablage aus. Kanzleiordnungen erweisen sich hinsichtlich Fragen nach der Informalität und nicht dokumentierten Interaktionen als prekär, solange sie nicht ins Recht gesetzt sind (was genau deshalb in einem passiert). Dabei ist ohne die Entwicklung der Akten (eine papierene Form als das eigentlich »stahlharte Gehäuse«) an keine Kanzleiordnung zu denken, die diesen die Entstehung, notwendigen Adressierungen, Verfahren, Prozesse, wiederholbaren Entscheidungen, Rekursionen und Ruhestätten sichern soll. Die Amtsinstruction/Kanzleiordnung/Büroordnung gewährleistet – egal zu welchen Zeiten und mit welchen medialen Verfahren auch immer – den Aktenlauf (und dieser, so eine zu belegende These, bedarf nicht festgeschriebener Informalität, um Prozess sein zu können; das Wissen darum ist bei denen, die Kanzleiordnungen verfassen, durchaus gegeben, davon darf jedoch nicht gehandelt werden). Dieser, der Aktenlauf, ist als Bündel notwendiger Handlungen die administrative Meta-Kulturtechnik an sich, aus der alle weiteren Verwaltungsverfahren sich her- und ableiten lassen. Dass zu protokollieren, adressieren, beobachten, entscheiden und kontrollieren (Vertrauensgrundsatz!) sei, ist dem Akt wesentlich. Daher ist es das auch der die Dynamik der Abläufe prästabilieren wollenden Kanzleiordnung, die sich folgerichtig ihrerseits wesentlich darauf beziehen muss und ihre Struktur der Organisation be- und zugleich vorschreibt.
Einschaltung: Call for Papers für Soziale Systeme 01-2024: Informalität und Interaktion.
Folgefrage 1: woraus entsteht der Akt? (teilweise bereits Ägypten, Griechenland, Rom, Spanien, zunehmend wesentlich die Ausverhandlung und davon sich ableitend das Zeremoniell samt simile und Protokoll, Übergabe dieser Verwaltungskulturtechniken von Spanien an Österreich möglicherweise entscheidend in den Jahrzehnten wechselnder Herrschaften über die 2 Neapel, Leibniz will mit Staatstafeln das Wissen des Staates organisieren und Kaunitz [Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg] im Auftrag der Entscheidungen und Autoritäten festschreiben lassen müssenden Kaiserin Dekrete als gültig und rechtmäßig prozessiert verordnen et cetera)
Folgefrage 2: was passiert unter den Bedingungen einer nun einmal so genannten Digitalisierung?, die den wesentlichen Grundgedanken der verakteten wie verordnenden Einheitlichkeit (sowohl des Aktes, als auch seines Gegenstandes und Prozesses, der Einpflegungen und Abfolgen seiner Bearbeitung) schlichtweg ignorieren muss, da sie nichts weniger als das Gegenteil davon ist. Kanzleiordnungen, als eine Form der prästabilierten Dynamik von Aktenläufen, droht, nicht mehr die kompatiblen Medien (-techniken) vorgeben zu können, anhand derer sich Beobachtungen und Entscheidungen und deren Dokumentation entwickeln lassen, d.h. wie zu prozessieren sei; indem die Medienverbünde und deren Kulturtechniken nicht mehr in die Kanzleiordnungen geschrieben werden können, weil umgekehrt bereits die Kanzleiordnungen den Medienentwicklungen untergeordnet sind (man wird das dereinst als das große, so umfängliche Versagen der Juristerey ausmachen), ist statt einer stabilen Dynamik (wofür Verwaltung verantwortlich zu sein hat) eine dynamische Labilität (einschließlich Unabsehbarkeit einer Entwicklung, die zu steuern nicht mehr möglich ist) zu erwarten. Der Inside Job der Zentralstellen, Ministerien: der Verwaltung – Akten und Entscheidungen mit den Mitteln der Informalität und gezielten Interaktion unter den Bedingungen rigider Kanzleiordnungen herzustellen (was zu zeigen sein wird) – wird dann nicht mehr von zweibeinigen Schriftsetzer:innen und Rechner:innen, sondern von Algorithmen erledigt. Öffnet man Pandoras Box, übergibt man die Kanzleiordnungsfragen an vermutete Mittel der Digitalisierung, erhält man statt Aktenschrank und Archiv eine Black Box.