Ein Hinweis wurde gepostet, betreffend:
Amália Kerekes, Nicolas Pethes u. Peter Plener (Hrsg.): Archiv – Zitat – Nachleben. Die Medien bei Walter Benjamin und das Medium Benjamin. Wien u.a.: Lang 2005 (Budapester Studien zur Literaturwissenschaft 7) – – – …
Inhalt:
- Cornelia Zumbusch: Benjamins Strumpf. Die Unmittelbarkeit des Mediums und die kritische Wendung der Werke
- Katalin Teller: Affinitäten der Sprachtheorien Walter Benjamins und Pavel Florenskijs
- Csongor Lőrincz: Hermeneutik des »Ausdruckslosen«. Gewalt, Interpretation und deren Mitteilbarkeit bei Benjamin
- Béla Bacsó: »Kleine Symptome der Oberfläche«
- Roland Innerhofer: Walter Benjamin oder: Die Liebe zum Film. Zu einer Ökonomie der Sinne
- Davide Giuriato: Tyrannischer Füllfederhalter oder zartes Maschinchen? (Siegfried Kracauer – Walter Benjamin, 1927)
- Csaba Szabó: Lose Blätter zu Benjamins Zeitschriften
- Amália Kerekes: »Die zweideutige Demut des Interpreten« – Zum Begriffspaar ›mimetisch/mimisch‹ in Walter Benjamins Schriften über Karl Kraus
- Manfred Moser: Benjamins fabelhafte Ursprünge des deutschen Trauerspiels
- Nicolas Pethes: Medium Benjamin. Forschungspolitische Anmerkungen zur Historizität von Theorie
- Manfred Moser: Kleine Rede zum Großen Walter Benjamin Gedächtnisturnier
Vorwort:
»Solche Bücher sind von ihrem Erfolg nicht zu trennen. Sie sind bestimmt, mit zerfetzten Seiten, Eselsohren, Unterstreichungen, Tintenflecken den Lebensweg ihrer vielgeplagten Besitzer zu teilen«, vermerkt Benjamin zur Rezeptur großer Bucherfolge, womit zugleich die Titel gebende Trias Archiv – Zitat – Nachleben auf eine Formel gebracht werden kann, die Medienpraxis und Rezeptionsgeschichte, Materialität und Gedächtnis aufs engste miteinander verschränkt.
Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes ist die Beobachtung, dass mit der Etablierung von Walter Benjamin als einem der Begründer der modernen Medienwissenschaften teilweise eine erhebliche Verengung des Blickwinkels einhergegangen ist. Benjamins Werk und seine Rezeption bieten ausgezeichnete Anschlussmöglichkeiten für medientheoretische und -wissenschaftliche Fragestellungen, die weit über den Rahmen seiner späten Studien zu Film und Photographie hinausgehen. Zudem erlaubt Benjamins Verständnis von Prozessen medialer Vermittlung und Überlieferung eine Korrektur der gängigen, nicht selten technizistischen und positivistischen Ansätze innerhalb der gängigen Medientheorien.
Die hier versammelten Studien nähern sich dem Konzept der Medien ausgehend von Benjamins Ansatz, demzufolge die offizielle Kultur in ihrer Auswahl dessen, was kommuniziert und erinnert wird, die Opfer ihrer kulturellen Dominanz zum Schweigen gebracht hat. Als Träger einer solchen Kommunikation und Erinnerung – mit einem Wort: Tradition – kommt den Medien mithin eine zentrale Stelle innerhalb der Benjamin’schen Geschichtsphilosophie zu. In deren Terminologie übersetzt heißt das: Während der offizielle Gebrauch von Medien der Repräsentation einer Kultur der Sieger dient, gilt Benjamins Interesse der paradoxen Figur einer Repräsentation des Unrepräsentierbaren, der die Medien immer dann gerecht werden, wenn sie durch eine Zäsur ihrer Lesbarkeit und Eindeutigkeit zum Verweis auf dasjenige werden, was jenseits der Überlieferung und Sichtbarkeit liegt.
Auf diese Weise machen die nachfolgenden Beiträge deutlich, dass die Frage nach den Medien niemals nur als Frage nach verschiedenen Techniken und den Theorien über sie zu stellen ist. In Abgrenzung gegenüber einem bestimmten Zug der jüngeren Debatte um Medien und kulturelles Gedächtnis sollen daher die Medien nicht schlicht als Speicher begriffen werden, deren schiere Existenz bereits das Gelingen ihrer gedächtnisstabilisierenden Funktion garantiert. Vielmehr soll der Fokus auf den Umgang mit Medien, ihre Angewiesenheit auf eine Nutzung, darauf hinweisen, wie sehr die kulturelle Funktion von Medien wie von Medientheorien von einer Übersetzung in Praxis abhängt – eine Praxis, die gegebenenfalls denkbar weit von den Absichten, die beim Vorgang der Speicherung vorherrschten, entfernt sein kann.
Die Beiträge des Bandes versuchen nach den Schwerpunkten »Medienästhetik«, »Medienpraxis« und »das Medium Benjamin« geordnet die folgenden Fragen der Medialität im Denken von und im Umgang mit Walter Benjamin aufzugreifen:
- Inwieweit zielen Benjamins Texte tatsächlich auf eine konzise »Theorie« der Medien?
- Verfügt Benjamin über einen einheitlichen Medienbegriff? Mit welcher Begründung setzen seine Exegeten ihn auch dort ein, wo er nicht steht?
- Geht es Benjamin überhaupt um Medien? Oder interessieren ihn nicht vielmehr Wahrnehmung, Technik, Ästhetik, Geschichte, Politik als je spezifische Konzepte, deren Differenzen und Interdependenzen nicht unter der Formel „Medium“ verschleiert werden sollten?
- Welche theoretischen Konturen gewinnen Medien und »Medialität« – Sprache, Schrift, Erzählen, Bild, Panorama, Film, Fotographie – bei wie für Benjamin? Welcher praktische Umgang mit den verschiedenen Schriftmedien seiner Zeit (Archive, Bibliotheken, Bücher, Zettelkästen, Zeitschriften, Zitate) lässt sich für Benjamin selbst feststellen? Welche Relation besteht zwischen seiner Reflexion von Medien und deren Nutzung?
Der vorliegende Sammelband, dessen Finanzierung vom Ungarischen Fond zur Wissenschaftsförderung, dem Philosophischen Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Bonn getragen wurde, geht auf die gleichnamige Konferenz zurück, die am 7. und 8. November 2003 am Germanistischen Institut der Eötvös-Loránd-Universität veranstaltet wurde. Die HerausgeberInnen bedanken sich beim Ungarischen Fond zur Wissenschaftsförderung, dem Austrian Science and Research Liaison Office Budapest, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem Goethe-Institut Budapest für die Unterstützung der Veranstaltung, die gezeigt hat, wie lohnend es sein kann, Benjamins Verhältnis zur – historischen wie gegenwärtigen – Medientheorie noch einmal einer kritischen Relektüre zu unterziehen.