Austritt

Die Formalisierung sozialer Systeme beruht demnach auf der Möglichkeit des Eintritts und Austritts, des Wechsels von Mitgliedern durch Entscheidung. Es kommt jedoch im Prinzip nicht darauf an, mit welcher Leichtigkeit bzw. unter welchen Opfern ein solcher Wechsel vollzogen werden kann; deshalb auch nicht darauf, ob und unter welchen Umständen er freiwillig vorgenommen oder erzwungen wird. Das sind sekundäre Unterscheidungen. Das Ausscheiden kann durch Umregistrierung oder über den elektrischen Stuhl erfolgen. Für das Schicksal des einzelnen wird darin oft ein tragischer Unterschied liegen; für das Problem der Korrelation von Mitgliedschaft und Normanerkennung, also für die Stabilität des sozialen Systems, handelt es sich um funktional äquivalente Lösungen. Der Begriff des Austritts schließt Selbstmord, Tötung, Vertreibung ins Elend als Grenzfälle ein. Solche Aussichten genügen als Ansatzpunkt für die Formalisierung bestimmter Erwartungen.
Man wird jedoch vermuten dürfen, daß soziale Systeme, die den Austritt erleichtern, zugleich in der Formalisierung von Erwartungen weiter gehen können. Für das staatliche System der Formalisierung, das positive Recht, bilden, wenn nicht die Todesstrafe, so doch andere Möglichkeiten legitimer Tötung (bei Widerstand), die notwendige Grundlage. Daraus leiten sich alle anderen Strafen als mildere Formen partieller Kommunikationsunterbrechung ab. Das ist der Weg der Formalisierung, der im umfassendsten System beschritten werden muß, weil andere Formen des Austritts nicht zur Verfügung stehen.

Niklas Luhmann: Funktionen und Folgen formaler Organisation. 2., unver. Aufl. [1964] Berlin: Duncker & Humblot 1972, S. 44f.

»La Garde meurt mais ne se rend pas.« (Asterix bei den Belgiern – Band XXIV, S. 45)