Die Pest an Bord

1909 stehen Carl Jung und Sándor Ferenczi an Deck eines Schiffes, das in den New Yorker Hafen einläuft; viele Menschen stehen an den Piers und beobachten die Ankunft des Dampfers aus Europa. Jungs und Ferenczis aufgeregte Freude ist groß, sie würden in die Neue Welt kommen, den Menschen, die sie hier unzweifelbar willkommen hießen, Aufklärung bringen. Der eigentliche Star der Exkursion steht nahebei, Sigmund Freud. Als er die ein klein wenig vollmundige Ansage vernimmt, korrigiert er: »Sie wissen nicht, dass wir ihnen die Pest bringen.« (Und damit in mehrfacher Hinsicht einen Gruß aus der europäischen Kulturgeschichteküche – denn zuerst kommt die Pest, dann erst die Aufklärung.)

Jung wird diese Anekdote späterhin Lacan erzählen (zu Küssnacht, wohin immer schon eine hohle Gasse führte; 1954), der sie ab 1955 mit hoher Schlagzahl immer wieder zum Besten bringen wird; er beginnt damit, man möchte meinen: naturgemäß, bei einem Vortrag in Wien (»La chose freudienne ou Ie sens du retour à Freud en Psychanalyse«). Selbstverständlich wird Freud – sofern er diesen Satz je aussprach – sehr präsent gehabt haben, dass auf ebendiesem Wege die Invasion Englands in Bram Stokers Dracula vor sich geht, wenn die transylvanische Erde die Ratten infiziert und mit diesen die Pest (denn darum geht es in diesem Medien-Roman doch auch: dass die Pest-Miasmen der Untoten letztlich nicht mehr gegen die [Knoblauch-] Pneumata der aufgeklärten neuen Angestellten und Mittelständler ankommen) nach England bringt.

Ab Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens von 1922 – das ist dann als Film eben auch jenes Medium, das als einziges der Zeit 1890–1897 bei Stoker keine Anwendung erfährt; dabei sind die Doppelgänger und Analytiker längst schon auf die Romanseiten vorgedrungen – gibt es eine Amalgamierung der Unheilsbringer (1925 wird die Witwe Florence Stoker zwar den Urheberrechtsprozess gewinnen, aber die Pest ist nicht nur im Hafen zu Wisborg uneinholbar aus den Särgen). Und irgendwann, 2011, wird Viggo »Freud« Mortensen für David Cronenberg den Satz von den Unwissenden und der Pest aufsagen. Cineastisches Psycho-Anthrax für die Post-Lacanianer.