Eigenbrötelei, Norm und Ueberwachung

Egbert Mannlicher schrieb jene Kanzleiordnung für die Bundesministerien, die am 18. Juli 1923 den österreichischen Ministerrat passierte und zur vielleicht am längsten Folgen zeitigenden in der Verwaltungsgeschichte der Republiken Österreichs wurde. (Siehe dazu bspw. hier.) 1927 wird er ein Resümee dazu in einer deutschen Fachzeitschrift ziehen:

Von besonderer Wichtigkeit bei jeder Reform ist es aber, dafür vorzusorgen, daß das, was sie Neues und Gutes gebracht hat, auch dauernd erhalten bleibt und im Zuge der Weiterentwicklung nicht allmählich wieder auf das liebgewordene Alte, das durch die Reform bewußt beseitigt werden sollte, zurückgegriffen wird. Dies gilt namentlich bei Büroreformen, da hier […] mit einem besonderen Hang am Althergebrachten zu rechnen ist, und auch Eigenbrötelei eine hervorragende Rolle spielt. Erfahrungsgemäß tauchen nur zu leicht binnen kurzem Behelfe aller Art, die eben erst als überflüssig beseitigt, oder Arbeitsmethoden, die durch zweckmäßigere ersetzt wurden, im geheimen wieder auf und gefährden der Erfolg der Reform. Diesen Gefahren kann nur durch eine ständige Ueberwachung vorgebeugt werden. […] Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Verwaltung heute gerade deshalb, weil sie im allgemeinen ohne ständige Ueberwachung hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung arbeitet und der einzelne in der Verwaltung tätige Beamte nur zu leicht die Dinge ausschließlich vom Standpunkte seines unmittelbaren Wirkungskreises aus betrachtet und damit den Blick für die großen allgemeinen Ziele der Verwaltungstätigkeit verliert, vielfach so unzweckmäßige und unfruchtbare Arbeit leistet.

Egbert Mannlicher: Büroreformen in Oesterreich. In: Deutsches Institut für wirtschaftliche Arbeit in der öffentlichen Verwaltung (Hg.): Büroreformen in einzelnen Verwaltungen. Berlin: Carl Heymanns Verlag 1927 (Schriftenreihe des DIWIV 2), S. 80–88, hier S. 87f.

Es mag dem Rationalisierungszeitgeist geschuldet gewesen sein, ist aber doch nicht ohne Ironie, dass unmittelbar vor Mannlichers Aufsatz »Büroreformen in Oesterreich« ein langer Beitrag von Textor (von dem es keinen Nachnamen zu finden gibt) zu stehen kam, ausgewiesen als »Magistratsrat und Leiter der Auskunftsstelle des Deutschen Städtetages für bürotechnische Fragen in Dortmund«: »Bürotechnische und -organisatorische Rationalisierungsmaßnahmen in der Kommunalverwaltung« (Textor 1927). Hierin wird das Hohe Lied organisierter Administration auf die neuen Methoden und Maschinen, Formate und Produktionsweisen gesungen, wie es Mannlicher nicht besser vermocht hätte. Am Beispiel des Papierformats:

Als erstes haben wir uns mit der Normung zu beschäftigen. [/] Ein wichtiger Schritt für die Normung im Bürowesen, vielleicht der wichtigste Schritt, erfolgte durch die Normung der Din-(Deutsche Industrie-Normen) Papierformate. […] Diese Papierformatnormung ist der Kern einer allgemeinen Normung allen Bürogeräts, soweit dieses von den Papiergrößen abhängig ist. […] Ueber die Normung des Papierformats und der Büromöbel hinaus muß selbstverständlich eine weitgehende Normung der Schreib- und Rechenmaschinen, Adressiermaschinen usw. […] erstrebt werden.

Textor: Bürotechnische und -organisatorische Rationalisierungsmaßnahmen in der Kommunalverwaltung. In: Deutsches Institut für wirtschaftliche Arbeit in der öffentlichen Verwaltung (Hg.): Büroreformen in einzelnen Verwaltungen. Berlin: Carl Heymanns Verlag 1927 (Schriftenreihe des DIWIV 2), S. 53–79, hier S. 55.

Dem Bestreben nach möglichster Rationalisierung der Kanzleitätigkeit dienen insbesondere auch jene Bestimmungen der Kanzleiordnung, die strenge auf die Gleichmäßigkeit der äußeren Form der Geschäftsstücke sehen. Die Kanzleitätigkeit ist […] eine auf die Masse abgestellte Tätigkeit. Dabei sind Raschheit und Verläßlichkeit die Grundbedingungen eines gut funktionierenden Kanzleiapparates. Für all das ist aber die Uebersichtlichkeit der äußeren Form der Geschäftsstücke von entscheidender Bedeutung. Im Interesse dieser Uebersichtlichkeit legt die Kanzleiordnung die äußere Ausstattung aller Erledigungen genau fest[.] Nicht unwichtig ist auch darauf hinzuweisen, daß schon mit der Einführung der Kanzleiordnung für die Bundesministerien – also bereits vom 1. Jänner 1924 an – für die österreichische Verwaltung grundsätzlich der Uebergang zum sogenannten Normalformat (210 X 297 Millimeter), wie es auch für das Deutsche Reich festgesetzt ist, vollzogen wurde.

Mannlicher 1927, S. 84 f.