Mit Beschluss des Ministerrates vom 18. Juli 1923, Vorsitzender Kanzler Ignaz Seipel, wird als Punkt 10 der Tagesordnung die »Einführung einer neuen Kanzleiordnung für die Bundesministerien« verabschiedet (Ministerratsprotokoll No. 290, S. 6f.), die von der »Verwaltungsreformabteilung des Bundeskanzleramtes« – NB es geht an diesem Mittwoch der KW 28 nicht bloß ›sozusagen‹ um einen coup d’etat par l’administration – ausgearbeitet worden war und je nach praktischer Umsetzbarkeit der jeweiligen Abschnitte zum 1. Oktober 1923 bzw. 1. Jänner 1924 in Kraft treten soll:
Vizekanzler Dr. Frank verweist auf die im Abschnitt II A des Reform- und Finanzprogramms enthaltene Bestimmung, wonach der manipulative Geschäftsgang in der gesamten Verwaltung nach den Grundsätzen möglichster Vereinfachung und Verbilligung zu reformieren ist. Dieser Bestimmung komme namentlich für den Bereich der Bundesministerien eine besondere Bedeutung zu. […] Der Entwurf strebe dahin, vor allem den wichtigsten Grundsätzen für die Neuregelung der formalen Geschäftsbehandlung in den Bundesministerien Rechnung zu tragen, nämlich der Einheitlichkeit einerseits und der möglichsten Einfachheit andererseits.
»[D]ie Einheitlichkeit des Kanzleiwesens [solle] in der ganzen Zentralverwaltung nicht nur in den Bestimmungen der Kanzleiordnung selbst zum Ausdruck kommen, sondern sich überdies auch auf die gesamten Kanzleibehelfe, Drucksorten usw. erstrecken.« Es gehe wesentlich darum, »daß die neue Kanzleiordnung nicht toter Buchstabe bleibe, und die ganze Reform, unbekümmert um gewisse, zweifellos auch hier nicht ausbleibende Widerstände, tatsächlich und mit dem notwendigen Zielbewußtsein zur Durchsetzung gelange«. Es wird die Überwachung in den Häusern bestimmt, damit die neue Kanzleiordnung auch tatsächlich zur Umsetzung gelangt, es werden die Vorlagen vereinheitlicht produziert: »Die nach den Vorschriften der Kanzleiordnung erforderlichen Drucksorten sind nach einheitlich festzusetzenden Mustern anzulegen und an die Bundesministerien auszugeben.«
Dieser Ministerrat vom 18. Juli 1923, dessen medienhistorische Relevanz u.a. auch in Punkt 12 der Tagesordnung (»Konzession zum Betriebe der Radiotelegraphie und Radiotelephonie im österreichischen Inlandverkehre«) zum Ausdruck kommt, hat seine Besonderheit darin, dass nie zuvor und auch danach nie wieder eine derart umfängliche und sämtliche bürotechnisch relevanten Medien umfassende Kanzleiordnung zu Vortrag und Beschlussfassung gelangte respektive gelangen wird. Wer ist anwesend? »Anwesend: Bundeskanzler Dr. Seipel, Vizekanzler Dr. Frank sowie die Bundesminister Dr. Schneider, Schmitz, Dr. Kienböck, Buchinger, Dr. Schürff, Baugoin und Dr. Grünberger [/] Zugezogen: zu Punkt 10: vom Bundeskanzleramt (Inneres): Ministerialrat Dr. Mannlicher«. Auf Letzteren [☞ 1], bei dem die Fäden zusammenlaufen, wird zurückgekommen sein. Er ist gem. Österreichischem Amts-Kalender für das Jahr 1923 Leiter der Abteilung 4b für »Verfassungsreform, Verwaltungsorganisation« im Bundesministerium für Inneres und Unterricht (1922 war er noch Sektions-Rat ohne Abteilung im Bundeskanzleramt).
Das Typoskript des Vortrags umfasst acht, der gedruckte Entwurf für die Kanzleiordnung 16 Seiten. Was sich in Karton 79 im Archiv der Republik jedoch noch findet, ist die Konzept-Fassung des Ministerratsvortrags, für deren Verfasser man in Kenntnis der Amtshierarchie Mannlicher annehmen muss und die gerade in ihren gestrichenen Passagen (diese in der Folge zitiert) um ein Vielfaches kenntlicher macht, welche Probleme im Geschäftsgang der noch jungen Ersten Republik man zu bewältigen sucht:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass auf diesem Gebiete in den einzelnen Bundesministerien vielfach ganz abweichende Verhältnisse bestehen, die naturgemäss den so wichtigen und lebhaften Dienstverkehr zwischen den Ministerien untereinander nachteilig zu beeinflussen geeignet sind. Nicht nur, dass in den Bundesministerien derzeit die verschiedensten Kanzleisysteme zur Anwendung kommen, sind auch sonst die Vorschriften für die Behandlung der Geschäftsstücke in den einzelnen Bundesministerien in zahlreichen Belangen andere, eine Tatsache, die übrigens auch schon in der äusseren Aktenform in sichtbare Erscheinung tritt.
Dazu kommt, dass gegenwärtig zum Teil noch recht veraltete Methoden der Bearbeitung und Behandlung der Akten üblich sind, die aus dem gerade auf diesem Gebiete erfahrungsgemäss so sehr zur Geltung kommenden Beharrungsvermögen noch immer fortgeschleppt werden, obwohl die neue Zeit längst zweckmässigere und einfachere Formen gefunden hat. Nicht selten sind im Kanzleibetrieb lediglich aus Gründen einer eingealterten Uebung Gepflogenheiten zu beobachten, die einer Prüfung auf ihre Zweckmässigkeit und Notwendigkeit in keiner Weise standzuhalten vermögen, in ihrer Gesamtheit aber eine Menge von Arbeit darstellen, mit der die Verwaltung gegenwärtig in vollständig überflüssiger Weise belastet ist und deren Beseitigung im Interesse der für die Verwaltung gebotenen Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit je eher angestrebt werden muss. Auch sonst ist auf dem Gebiete der formalen Geschäftsbehandlung, namentlich was die rationelle Ausnützung der Arbeitskräfte, der Verwendung der technischen Hilfsmittel, den Papierverbrauch u.s.w. anbelangt, der Gedanke der Sparsamkeit leider sehr abhandengekommen.
Schliesslich kann auch die Tatsache nicht übergangen werden dass die neue Besoldungsordnung wie in so vielen anderen Beziehungen so auch hier vom Standpunkte einer sparsamen Verwaltungsorganisation recht bedauerliche Wirkungen geäussert und vielfach den Anlass zur Einführung von Neueinrichtungen auf dem Gebiete des Kanzleiwesens gegeben hat, die sachlich in keiner Weise begründet waren.
Schon aus diesen kurzen Andeutungen geht hervor, dass es sich hier tatsächlich um ein Gebiet handelt, auf dem eine zielbewusste Reform- und Ersparungstätigkeit einsetzen kann und einsetzen muss und dass die anzustrebenden Reformen ein wichtiges Glied im Rahmen der Reorganisation des gesamten Ministerialapparates darstellen.
[…] Was den Inhalt der neuen Kanzleiordnung anbelangt, so ist zu bemerken, dass es sich keineswegs um irgendwelche umstürzende Neuerungen handelt, sondern bei der Verfassung der Kanzleiordnung vor allem das Bestreben massgebend war, den ganzen Kanzleibetrieb in der Zentralverwaltung bei Festhaltung bewährter Grundlagen unter Verwertung aller sowohl im amtlichen Verkehr als auch im privaten Geschäftsleben gemachten Erfahrungen mit dem Ziele der möglichsten Vereinfachung zu modernisieren.
Zu diesem Zwecke wird in der Kanzleiordnung – wie ausdrücklich hervorgehoben sei – nicht etwa nur die eigentliche Kanzleitätigkeit entsprechend geregelt, sondern sind darin gleichzeitig auch alle erforderlichen Vorschriften enthalten, die die formale Geschäftsbehandlung durch die Bearbeiter (Konzeptskräfte) betreffen.
Von den Bestimmungen der neuen Kanzleiordnung wäre als besonders wichtig folgende hervorzuheben:
Die ganze Kanzleiordnung ist auf dem Prinzip der Materienregistratur (nicht der Nummernregistratur) aufgebaut; eine besondere Bedeutung wird aus diesem Grunde den für die einzelnen Zentralstellen festzusetzenden Geschäftsplänen zukommen, eine Arbeit, die überdies auch zur Klärung verschiedener Zuständigkeitsfragen dienlich sein wird.
In weiterer Durchbildung des bezeichneten Systems sollen die einzelnen Geschäftsstücke, die dieselbe Angelegenheit betreffen, jeweils durch Grund- und Nachzahlen in ein engeres Verhältnis gebracht werden, ohne dass jedoch hiedurch eine allzu starre Verbindung herbeigeführt würde.
Der Grundsatz der fortlaufenden Schreibweise wird in der ganzen Kanzleiordnung mit tunlichster Folgerichtigkeit durchgeführt.
Von besonderer Bedeutung ist auch, dass die Kanzleiordnung – in Uebereinstimmung mit den vorliegenden Beschlüssen des sog. Normenausschusses – bereits den Uebergang zu einem neuen, etwas kleineren Papierformat (210 x 297 mm, statt des bisher üblichen Formates 210 x 340 mm) wie es im privaten Geschäftsleben schon derzeit weitgehend verwendet wird, enthält, wovon nicht nur die Vorteile der Gleichmässigkeit, sondern auch nicht unbeträchtliche Papierersparnisse zu erwarten sind; der Uebergang zu diesem Papierformat hat allerdings auch noch zur Voraussetzung, dass auf die österreichische Papierindustrie zur entsprechenden Regelung der Papiererzeugung Einfluss genommen wird.
Auch sonst versucht die Kanzleiordnung durch eine Reihe besonderer Vorschriften auf die möglichste Sparsamkeit an Papier und sonstigen Amtsbehelfen hinzuwirken.
Die derzeit immer noch zu beobachtende Vielschreiberei wird ausdrücklich verpönt, vielmehr in der gesamten Geschäftsgebarung möglichst Kürze und Einfachheit zur ausdrücklichsten Pflicht gemacht.
Die ganz überflüssigen und umständlichen Höflichkeitsformeln sollen aus dem schriftlichen Amtsverkehr vollständig verschwinden, ebenso auch alle lateinischen Kanzleiausdrücke.
Für die Ausgestaltung des urschriftlichen Verkehres, soweit dieser im Bereich der Zentralstelle möglich ist, enthält die Kanzleiordnung entsprechende Vorschriften.
Der die Erledigung der Geschäftsstücke der Zentralstellen erfahrungsgemäss so sehr verzögernde Einsichtsverkehr soll möglichst eingeschränkt werden. Zu diesem Zwecke, ausserdem aber auch zur Erleichterung und Beschleunigung des Amtsverkehres wird die Gebrauchnahme des Fernsprechers näher geregelt.
Unter der Annahme, dass die hiefür erforderliche gesetzliche Grundlage noch geschaffen werden kann, enthält die Kanzleiordnung bereits die näheren Bestimmungen darüber, wie die Beglaubigung von Reinschriften durch die Kanzleiorgane anstelle der heute notwendigen eigenhändigen Fertigung, bei der viel Zeit und Arbeit ganz überflüssig verloren geht, zu erfolgen hat.
Was die Organisation des Kanzleidienstes anbelangt, so soll die Einlaufstelle in jeder Zentralstelle grundsätzlich gemeinsam sein.
Bezüglich der Besorgung der übrigen Kanzleigeschäfte, ermöglichen die Bestimmungen der Kanzleiordnung eine entsprechende Anpassung an die Verhältnisse der verschiedenen Bundesministerien, wobei für grössere Bundesministerien die Schaffung von Kanzleistellen für je eine grössere Anzahl von Abteilungen als das anzustrebende Ziel hingestellt wird.
Klartext (den Ministerratsvortrag des Vizekanzlers schrieb diesem besagter Mannlicher) aus den Anfangsjahren einer Republik, die am Bankrott streift, Personal abbauen muss und ihren gesamten Apparat nach neuen Effizienzkriterien justieren muss. Insgesamt gilt, dass alle Seiten dieser Kanzleiordnung von einem medialen Umbruch handeln.
These: Für eine umfassende Reform der Verwaltung in den Zentralstellen bedarf es in Österreich zunächst eines verlorenen Weltkriegs, einer massiven Wirtschaftskrise und eines umfassenden Medienbruchs; dann schleuse man unter Verweis auf Effizienz und Sparsamkeit eine tiefgreifende Reform der Verwaltungsabläufe in den Kanzleien durch den Ministerrat, um schlussendlich den hier schon federführend beteiligten Verfassungsjuristen – nachdem die materiellen Bedingungen neu aufgesetzt sind (d.h. den Widerstandskräften in den Ministerien ihre Bordmittel aus den Händen genommen wurden) – mit den formalen Paragraphennägeln und Gesetzeskopfzeilen zu betrauen. Nach besagtem Karrierejuristen lässt sich dieses Unternehmen als Kommando Mannlicher bezeichnen, andernorts kennt man es als Kanzleiordnung für die Bundesministerien. (Genehmigt mit Beschluß des Ministerrates vom 18. Juli 1923.) Dass es mit Egbert Mannlicher den Neffen des gleichnamigen Repetiergewehr-Erfinders trifft, liest sich wie eine Pointe aus den Notizbüchern Friedrich Kittlers. Denn während dieser noch das Schreibmaschinengewehr aus Nietzsches Professorenzimmer in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs und enigmatisch mit Codierungen aufmunitioniert in den Blitzkrieg des Zweiten verbracht sieht, reichte in Österreich ein Familienname für den Spannungsbogen der ärarischen Stahlgewitter, als dessen Enden der Parabel da eine Ordonanzwaffe und dort ein Kanzleibogen gemäß deutscher Industrienorm sich ausmachen lassen. Danach bleibt kein Konzeptpapier mehr auf dem anderen.
Weniger pointiert formuliert geht es darum, dass ich die Kanzleireform von 1923 (Auszüge) als wesentlichen Schlüssel für die Reformbemühungen der 1920er Jahre einschätze. Einerseits medien- und kulturtechnisch und andererseits strategisch.
Was das »American System of manufactures« gerade nicht gewesen war, wurde seit 1917 zum Markenzeichen der deutschen Rüstungsindustrie und, seit Versailles, der deutschen Industrie überhaupt: DIN, die Deutsche Industrienorm, trat ihre Herrschaft an. Und als die frühen DIN-Normen 4 und 5 auch noch daran gingen, die DIN-Norm selbst nach Papierformaten, Letternformen, Zeichenstiften undsoweiter zu standardisieren, war das System ebenso drucktechnisch wie autoreferenziell geschlossen.
Friedrich Kittler: Von der Letter zum Bit. In: Gutenberg und die Neue Welt. Hg. v. Horst Wenzel in Zusammenarbeit mit Friedrich Kittler u. Manfred Schneider. München: Fink 1994, S. 105–117, hier S. 115.
Was das konkret bedeutet/e, ersieht man aus einem österreichischen Anwendungsbeispiel, eben der im Ministerrat vom 18. Juli 1923 verabschiedeten Kanzleireform (wobei man von dieser ausgehend auch durchaus gleich die Straße nach Erewhon nehmen mag): hier werden nicht einfach die Geschäftsvorgänge in den Bureaus, auf den Amtsfluren und nicht zuletzt den mit grünem Filz bespannten Sektionschefschreibtischen nebst den Schreibflächen der Konzeptsbeamten für die Zentralstellen vereinheitlicht und verbindlich geklärt. Das quasi neue ›zentral‹ meint, dass den alten Kräften (d.i. auch wesentlich die noch aus k.k.- und k.u.k.-Zeiten herrührende Beamten- und Vertragsbedienstetenschaft) ihre gewohnten Medien wie Handschriftlichkeit und informelle Absprachen (zumindest auf dem Papier, das aber nun eben auch neu formatiert wurde) entzogen werden.
Statt diesen kommt nun ein autoreferenzielles System zur Anwendung, das aus der Kriegswirtschaft des Rathenau u.a. heraus entwickelt wurde (und eine sechsstellige Kopfzahl an Staatsangestellten einsparen hilft, einschließlich einer massiven Geschäftseinteilungsänderung, die den Verwaltungsapparat der Ersten Republik solide rechtskatholisch-reaktionär aufstellt [☞ 2]). Dieses einzuführen, umfassend neue Drucksorten zu erstellen und unter Aufsicht auszubringen, Telefonate notizpflichtig zu machen, der Schreibmaschine den unbedingten Vorzug vor der Handschrift zu erteilen, in sprachlichen Regularien einzugreifen und die nicht zuletzt aus dem Krieg heraus entwickelte Medienrealität verbindlich in den Ämtern zu installieren, ist der Coup d’etat par l’administration. Egbert Mannlicher, der schon in führender Rolle an der Bundesverfassung von 1920 beteiligt war und umso mehr an den Novellierungen der Folgejahre beteiligt gewesen sein wird, bringt 1923 ein Bureausystem durch den Ministerrat (NB: mit dem von ihm verfassten Ministerratsvortrag und in seiner Anwesenheit als zugezogener Fachexperte), das nicht nur seine Karriere befördern, sondern tatsächlich einen radikalen Schnitt (der so schnell geht, das kaum jemand die Tragweite umfassend rezipieren wird) für den gesamten Verwaltungsapparat einleiten wird. Der Federstrich der Verabschiedung der Kanzleiordnung erinnert an die Wirksamkeit eines mit einem Erzeugnis von Hattori Hanzō durchgezogenen Streichs, bei dem der Kopf noch eine Weile nicht realisiert, dass er vom Rumpf getrennt wurde.
Der Beschluss der Kanzleireform 1923 im Ministerrat bedeutet einen Medienbruch und Organisationsänderungen bei den Arbeitsabläufen in den österreichischen Zentralstellen. Diese Reform vor der allgemeinen Verwaltungsreform zu beschließen und umzusetzen, sozusagen avant la loi, ermöglicht alle weiteren Schritte. Die Vorgangsweise ist – medien- und kulturtechnisch betrachtet – ein Drehbuch dafür, wie ein gelingender Coup ablaufen kann.
☞ 1: Egbert Friedrich Hermann Clara Mannlicher (1882–1973), Verfassungs- und Verwaltungsjurist, soll einer Beamtenfamilie entstammen (Ferdinand Mannlicher, der mit dem Gewehr, war sein Onkel), deren Stammbaum bis 1525 zurückreicht. Die Verwaltungsverfahrensgesetze von 1925 stammen wie die Kanzleiordnung von 1923 federführend von ihm (er wurde damals als Sektionsrat Leiter der neu gegründeten Abteilung für Verwaltungsorganisation und Verwaltungsreform), er arbeitete mit Kelsen und Coreth bereits an der Bundesverfassung 1920 und wird für deren Novellierungen 1925 und 1929 zuständig sein, 1930 wird er Senatspräsident am Verfassungsgerichtshof, 1934 aus politischen Gründen in den Ruhestand und dortselbst in einer Kodifikationskommission im Bundeskanzleramt ›versenkt‹. Dem Change-Management der Nationalsozialisten ist er dann dienlich genug: Im März 1938 wird er Sektionschef der Reichsstatthalterei, ab Mai 1938 ist er offiziell Mitglied der NSDAP, im April 1939 übt er die Präsidentenfunktion des Bundesgerichtshofes aus, 1940/41 ist er Leiter der Verwaltungsakademie und Leiter der Außensenate Wien des Reichsverwaltungsgerichtes, im November 1941 Senatspräsident beim Reichsverwaltungsgerichtshof, ab 1943 Sonderbevollmächtigter und Berater für kriegsbedingte Verwaltungsvereinfachung [sic] … 1945 wird er seines Amtes enthoben, 1946–47 ist er interniert und nachdem er wie ganz Österreich erfolgreich seinen kriegsbedingten Opferstatus reklamiert hatte, arbeitete er als Anwalt in Salzburg. Bekam 1970 das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. (s. dazu auch den Wikipedia-Eintrag; Stand 22.04.2021) ☜
☞ 2: Anders gesagt: Was in den Ministerratsprotokollen von 1918–1923 (bislang nicht publiziert vorliegend, sondern reines Archivgut) sich zu administrativen Beschneidungen und Reformbestrebungen findet, macht in Abwägung dessen was nicht in diesen steht und doch Gegenstand eines allseitigen Wissens und Diskurses zweiter Ordnung war, die ideologische Dimension des Informellen aus. Das, was informell durchaus klar war und in der ausgewiesenen Form, als commitment der handelnden Personen und ihrer Apparate, keinen Klartext erfuhr bzw. zu erfahren brauchte (da die in Folge der Genfer Protokolle zu vollziehende Austeritätspolitik einer radikalen Selbstbeschneidung des staatlichen Apparats als alternativlos galt, wurde es hingenommen), bedeutete: die Verdrängung der mit dem Ende der Monarchie in der Administration präsent gewordenen Sozialisten aus den Zentralstellen, die Neuaufstellung der Ministerien im Sinne der national-reaktionären Regierungen der 20er Jahre. Flankiert von der Austeritätspolitik des Völkerbunds und seiner Kommissare, der zwangsläufig ausgestellten carte blanche des Parlaments für das unabdingbar gemachte ›Sparen im System‹ über Jahre hinweg, wurden die Massenentlassungen aus den Staatsdiensten, die Neustrukturierung der Führungsebenen und ihrer Zugriffe auf Entscheidungsabläufe und Arbeitsprozesse als finanzpolitisch notwendig und organisationstechnisch sinnvoll ausgewiesen. Die Folge war eine Zurichtung des Apparats dergestalt, dass u.a. die Austrofaschisten und später Nationalsozialisten leichtes Spiel gehabt haben würden. ☜
Um die Ausführungen halbwegs im Rahmen zu halten, verwies ich auf den Kontext des 290. Ministerratsprotokolls vom 18. Juli 1923, auf den Vortrag zum Punkt 10 der Tagesordnung, von dem uns eine Arbeits- und Strichfassung sowie eine Reinschrift erhalten blieben. Und zu verweisen bleibt auf die Arbeiten von Peter Becker, der mich vor einigen Jahren auf die hier thematisierte Kanzleiordnung aufmerksam machte.