Fritz »oben«

Titelei

Der fleißige Philipp und der faule Fritz [S. 1–3]

Das Avancement [S. 4–6]

Der Schieber [S. 7–12]

Die Einberufung [S. 13–17]


Was einer selbst nicht machen kann,
Das hängt er einem andern an.
Es hat in diesem einen Satz
Die ganze Weltgeschichte Platz:
Wer’s gut versteht, der tut sich leicht,
Und was er will, ist bald erreicht,
Denn alles geht nach seinem Kopf.
Wer’s nicht versteht, der ist der Hopf.

Dies Axioma paßt nicht minder
Auch auf Beamte, liebe Kinder,
Die auch ja zu den Menschen man
Gewissermaßen rechnen kann.

Wer je am grünen Tische saß
Beim wohlbeklexten Tintenfaß,
Bei Möbeln, alt und abgenutzt,
Und Fenstern, welche nie geputzt,
Wer je des Einlaufs bange Freuden
Gekostet und des Rückstands Leiden,
Wer je Papier mit Sand bestreute
Und auf’s Nachhausegehn sich freute;
Der weiß auch sicher was zu sagen
Von jenem tiefen Unbehagen,
Das oft bei Akten man empfindet,
Für die man keine Lösung findet.

Vergebens ist da alles Ringen,
Um in die Sache Licht zu bringen,
Es zeigen sich auf allen Seiten
Nur immer neue Schwierigkeiten.
Im Kreise laufen die Gedanken
Herum in immer engeren Schranken
Und ballen sich zuletzt, o Greuel,
Zu einem wüst verschlungenen Knäuel.

Wenn solcher Art der eigene Geist
Als unzulänglich sich erweist,
Und wenn das Ding auch nicht zu fassen
Durch Schieben oder Liegenlassen,
Dann wird die Rettung nur allein
In einem Pump zu finden sein,
Indem man anderer Leute Kräfte
Benützt für eigene Geschäfte.

Natürlich langt nicht Jedermann
Gleich oft an diesem Punkte an;
Es gibt z. B. Geistesprotzen,
Die allen Schwierigkeiten trotzen
Und als Beschämung es empfänden
An fremde Hilfe sich zu wenden.
Doch andre, minder skrupelös,
Die finden solches nicht so bös;
Sie denken ganz fidel und froh:
»Warum denn nicht, es geht auch so.«
Und solche leben dann zumeist
Mit Eleganz von fremden [sic] Geist.

Wie man das macht, das sei für Laien,
Die andern werden mir verzeihen,
Zu allgemeinem Nutz und Frommen
In aller Kürze durchgenommen.

Vier Mittel wären da zu preisen,
Die immer sich probat erweisen:

Erstens. »Zu allererst gebührt die Krone
Dem braven »Schimmel« zweifelsohne,
Der euphemistisch, wie bekannt,
Wird »Analoger Fall« genannt

Registratur! Faszikel Hort,
Ich grüße dich, geliebter Ort!
Durch dich ist aufbewahrt geblieben,
Was kluge Männer einst geschrieben,
Von denen mancher schon vielleicht
Vom blauen Boden ward erreicht!
Wie einst das edle Flügelroß
Aus der Meduse Blut entsproß,
Das mir der Harfe Sturmes Wehen
Den Dichter trägt in Ätherhöhen,
So steigt aus ihr der edle Schimmel,
Der Nützliche, zum Aktenhimmel,
Der, kühn von unsrer Hand gemeistert,
Uns zur Erledigung begeistert,
Registratur, voll Dankbarkeit,
Sei hochgelobt in Ewigkeit!
Der Mann hat schäbiges Empfinden,
Der sagt, in dir sei nichts zu finden.

Zweitens. Als zweites Mittel sei empfohlen
Die Äußerung sich einzuholen
Von irgendwem, der an der Sache
Hat Interessen, wenn auch schwache.
Doch ist es nicht empfehlenswert, 
Zu präzisieren was begehrt,
Man schreibt ganz einfach, wenn man klug:
»Zur Äußerung« – das ist genug.

Dann weiß der Andere nicht bestimmt,
Weshalb man ihn in Anspruch nimmt
Und läßt, da kann man sicher sein,
Sich näher in die Sache ein;
Und man erfährt nun dergestalt
Zum mindesten den Sachverhalt,
Meist aber sagt dies Referat,
Was weiter zu geschehen hat,
Sodaß man diese Stellen dann
Ganz einfach »strichulieren« kann.

Mitunter nämlich kommt auch nicht
Die Sache in das rechte Licht,
Da man gerade das vermißt,
Worauf man ausgegangen ist.
Da steht dann wohl die Sache schlimmer:
Jedoch ein Mittel gibts noch immer,
Das übrigens auch immer dann
Mit Glück verwendet werden kann,
Wenn absolut kein Grund zu finden
Den Akt wem andern aufzubinden
Und dies besteht, ganz kurz gesagt
Darin, daß man die andern fragt.

Dies Mittel hat zu jeder Zeit
Den Vorzug der Bequemlichkeit;
Nur ist es leider nicht zu leugnen,
Es kann sich auch der Fall ereignen,
Daß jedermann bedauernd spricht:
„Das weiß ich leider selber nicht.“
Indessen kann man sicher sein,
Ein Schieber fällt doch einem ein.

Das vierte Mittel und das letzte
Paßt leider nur für Vorgesetzte;
Und das ist schade, weil es kläglich 
Jedwedes Denken macht entbehrlich; 
Man spannt, um selber frei zu sein,
Die Untergeb’nen tüchtig ein
Und läßt bei allen ihren Werken
Auch keine Spur von Beifall merken.
Im Gegenteil, man schimpft beständig; 
Das imponiert dann ganz unbändig,
Denn es erscheint ein solch Gehaben
Als Zeichen überleg’ner Gaben.
Hat einer dann zu Stand gebracht
Ein Werk von ganz besondrer Pracht
Läßt man daran kein gutes Haar
Und schilt es völlig unbrauchbar.
Man schreibt mit andern Worten dann
Dasselbe, wie der erste Mann,
Worauf den Akt man laufen läßt
Als eigenes Werk. Propatum est.

So also, Kinder, wirds gemacht.
Auf eines aber gebt mir acht:
Wie bei den pekuniären Sachen
Muß alles man mit Schläue machen:
Sich öfters Gelder auszuleihen,
Die Kunst will gut verstanden sein,
Doch auch das Pumpen von Ideen
Ist nicht so einfach zu verstehen:
Es leidet, wenn’s nicht schlau geschieht,
In beiden Fällen der Kredit.

Ganz wunderbar auf diesen Witz
Verstand sich unser Freund, der Fritz.
Der war, wie vorhin wir vernommen,
Zur höheren Instanz gekommen.
Im ganzen war er sehr vergnügt,
Daß sich die Dinge so gefügt,
Doch hatte auch die Sache, wie sie
Sich zeigte, manches große nisi.
Was ihm vor allem nicht gefiel:
Die Arbeit schien erschreckend viel.
Nun war der Fritz von Jugend an
Ein sehr charaktervoller Mann,
Der seinem obersten Prinzip
In allen Fällen treu verblieb;
Dies hatte aber stets geheißen:
»Sich bei der Arbeit nicht zerreißen.«
Nun war es ausgemacht für ihn:
Er war gewillt, auch fürderhin,
Wie sich die Dinge auch gestalten,
An diesem Satze festzuhalten.
Es galt daher sein Tun und Lassen
Der neuen Lage anzupassen,
Damit die Arbeit klein, dabei
Die Wirkung aber mächtig sei.
Das sah er auf den ersten Blick:
Die meisten Akten waren dick,
Ein Phänomen das allemal
Dem Fritz zuwider und fatal;
Und dahinein sich zu versenken – 
Er mochte garnicht daran denken.
»Je nun«, so kalkulierte er,
»Es geht wohl nicht so eilig her!
Ein Akt von solcher Mächtigkeit
Läuft sicher schon seit langer Zeit,
Und folgerichtig kommt es dann
Auf ein’ge Wochen mehr nicht an!«
Er wandte also von den dicken
Sich zu den dünnen Aktenstücken,
Doch hier auch grinst’ ihm allerwegen
Das absolute Nichts entgegen
»Auf diese Weise geht es nicht,«
Sprach Fritz mit pfiffigem Gesicht.
»Wenn einer nichts zu tun versteht.
So muß er tun, als ob er tät.
Drum pflegen wir, ist meine Meinung,
Zunächst die äußere Erscheinung.«

»[sic] Er schmückte also seinen Tisch
Im höchsten Grade malerisch
Mit Büchern und mit hochbetagten,
Dem Kellerraum entlehnten Akten,
Sodaß es zwar nicht gut, jedoch
Gelehrt in seiner Klause roch;
Dann hatte er zu jeder Zeit
Ein dickes Aktenstück bereit,
Das schleppte er zum Schaugepränge
Demonstrativ durch alle Gänge,
Mit schnellem Schritt, gesenkten Blicken,
Um tiefes Denken auszudrücken;
Auch ging er auf die Wirkung aus,
Als nähm er Arbeit stets nach Haus,
Drum trug er, wo er ging und stand,
Die Aktentasche in der Hand:
Doch war darinnen, glaubet mir,
Nur ganz gemeines Schreibpapier.
Kurz, immer war es sein Bestreben,
Sich äußerst okkupiert zu geben.

Und richtig tat die Suggestion
In kurzem ihre Wirkung schon:
Gar mancher nicht gewitzt und klug,
War in der Tat naiv genug,
Dies theatralische Benehmen
Für bare Münze hinzunehmen.
Ja, endlich hieß es allgemein:
»Der Fritz muß riesig fleißig sein!«

Ein Umstand war bei alledem
Im hohen Grade unbequem:
Die Akten lagen dick und stumm
Verstockt auf seinem Tisch herum
Und wollten, boshaft und gemein,
Just durch den Fritz erledigt sein.
Der aber wollte dieses nun
In keinem Falle selber tun.
Zum Teil aus Unlust am Geschäfte,
Teils wegen mangelhafter Kräfte.
Drum galt’s auf andere sich zu stützen
Und sie entsprechend auszunützen.
Und da der Fritz nun ganz und gar
Nicht auf den Kopf gefallen war,
So war er nach und nach ein Meister
In der Benützung fremder Geister.

Von den Methoden, welche oben
Sind eins bis vier hervorgehoben,
Fand Fritz das größte Wohlbehagen
An Äußerungen und an Fragen.
Den Schimmel nahm er manchmal auch,
Jedoch nicht gerne in Gebrauch.
Man kriegt denselben ja zu Zeiten
Nicht ohne große Schwierigkeiten,
Drum hatte er für dieses Vieh
Just keine große Sympathie.
Er sah die Akten lieber an,
Ob sich nicht jemand äußern kann,
Und zeigte hier unzweifelhaft
Bedeutende Erfindungskraft.
Kam aber dann das Aktenstück
Mit einer Äußerung zurück.
So wußte er die fremden Sachen
Zu seinen eigenen zu machen,
Und er bewirkte diese Wandlung
Durch eine sinnige Behandlung:
Denn wo ein and’rer ungeniert
Gleich seitenweise strichuliert.

Da schob der Fritz mitunter fein
Auch Phrasen eig’ner Mache ein;
Dann schrieb er manche Stellen wieder
Mit etwas andern Worten nieder,
So daß das Ding nicht besser zwar,
Doch immerhin verändert war,
Und dieser regte die Empfindung,
Als wär’ es eigene Erfindung.

Auch die Kollegen zu befragen
Verstand der Fritz, das muß ich sagen:
Er tat dies meist so nebenher.
Als ob nichts d’ran gelegen wär’;
Doch hatte er sodann vernommen,
Worauf ’s ihm eben angekommen,
So warf er gleich sich in die Brust
Und tat, als hätt’ er’s selbst gewußt:
»Ganz recht, ich habe auch gedacht,
Daß man es so am besten macht!«
So wahrte Fritz, zu jeder Zeit,
Den Schein der Überlegenheit.

Nun wäre alles gut gewesen,
Nur war der Chef ein eig’nes Wesen;
Denn dieser schnöde Vorgesetzte
War ausgerechnet just der Letzte,
Auf welchen das von Fritz beliebte
Verfahren eine Wirkung übte;
Im Gegenteile war im klar,
Daß alles eitel Humbug war.
»Na, warte«, dachte er, »Galgenstrick,
Dir brech’ ich sicher das Genick.«
So wollte dieser Mann. Doch ach!
Er konnte nicht, denn einstens sprach
Der Oberste am hohen Orte
Zu ihm die inhaltsreichen Worte:
»Sie haben ja den Fritz bei sich,
Und dieser ist, so höre ich,
– Wie ich nicht anders erwartet, –
Wohl ganz besonders gut geartet.
Er ist an Wissen und an Fleiß,
Und an Talent, so viel ich weiß,
Von vielen andern unterschieden.
Ich hoffe doch, Sie sind zufrieden?«
Was wollte nun der Arme sagen?
Ein Widerspruch war kaum zu wagen,
Es hören solche großen Herrn
Die Wahrheit ja nicht immer gern.
Drum sprach er, wenn auch resigniert;
»Gewiß, gewiß, er prosperiert.«
So hatte Fritz auch bei dem Chef
Ein ganz besond’res Relief.
Auch sonsten konnt’ es keiner wagen,
Was Schlechtes über ihn zu sagen.
Da immer hoch geachtet wird,
Wen der Gottsöberste poussiert.
Es hieß daher bei Klein und Groß:
»Der Fritz, der Fritz ist ganz famos!«
Und jeder kam ihm allerwegen
Mit größter Freundlichkeit entgegen.
So stand denn also seinem Hoffen
Die wunderbarste Zukunft offen.

Draus könnt ihr, liebe Kinder, sehn:
Man muß die Sache nur verstehn:
Stellt einer sich ins rechte Licht,
So hat es keine Sorge nicht.
Drum Kinder, seid wie Fritz so klug,
Dann bringet ihr es weit genug. 


Philipps Erhöhung [S. 26–31]