Rückruf

Als Walther Rathenau, späterer AEG-/Telefunken-Erbe und als Mann vieler Eigenschaften der Paul Arnheim in Robert Musils Mann ohne Eigenschaften, im Ersten Weltkrieg Inbegriff der u.a. mit Lochkarten geplanten und organisierten Kriegswirtschaft – dem militärisch-industriellen Komplex des Deutschen Kaiserreichs – im Jahr 1898 sich mit der etwas humoristisch angelegten Gespenstergeschichte Die Resurrection Co. in Die Zukunft einschrieb, wird er gegen die etwas erratische Setzung v.a. der einfachen Anführungszeichen nichts vermocht haben. (Möglicherweise lässt sich auch über die eine oder andere stilistische Frage diskutieren.) Der Plot ist jedenfalls dieser: Tote telefonieren, wenn man es nur technisch ermöglicht. Und niemand müsste fortan mehr lebendig begraben werden und alsbald totenstill bleiben.
Im selben Jahr 1898 vollendete in Wien die österreichische Post- und Telegraphenverwaltung (PTV) die Neubauten der Centrale I (VI. Bezirk) und Centrale II (IX. Bezirk; Sigmund Freud ordinierte bloß 200 Meter entfernt davon und sowieso ist die Geschichte von Telefon/Übertragungsmedien & Psychoanalyse eine durchaus bezeichnende) des Staatstelephons – eine detaillierte Beschreibung der Gebäude und ihrer technischen Einrichtungen findet sich (unter Verweis auf Die k. k. Telephoncentralen in Wien, hg. vom k k. österreichischen Handelsministerium) etwa bei Heinrich Dreisbach: Die Wiener Fernsprechämter. In: Elektrotechnische Zeitschrift. (Centralblatt für Elektrotechnik) H. 42 (18.10.1900), S. 864–869 und H. 43 (25.10.1900), S. 883–887.
Die PTV hatte, dies sei noch angemerkt, bei der Verstaatlichung der privaten Telephonnetze (1895) festgestellt, dass es keiner Namensänderung bedurfte, denn das Telephon sei wie die Telegraphie als akustisches Gerät einzustufen. Der Sprechakt »Ich bin tot« – dass er zumindest als Schreibakt möglich ist, vermittels des Hysteron-Proteron, ist von Goethe bis Musil et al. klar – lässt sich also auch klopfen, um staatlich anerkannt zu werden.

DIE RESURRECTION CO.

Die Begräbniseinrichtungen der Stadt Necropolis, Dacota, sind die besten in den Vereinigten Staaten. Eine elektrische Schmalspurbahn führt mit einer Geschwindigkeit von 35 Kilometern die Leiche auf den Kirchhof, eine Baggermaschine (U. S. Patent Nr. 398 748) gräbt vor den Augen der Leidtragenden in vier Minuten das Grab, der Sarg wird durch einen Drehkran vom Gleise gehoben, und die Maschine glättet mit großer Genauigkeit den viereckigen Hügel. Man hat es vermieden, die Leichenrede durch laut sprechende Phonographen verlesen zu lassen; dagegen ist dicht bei der Begräbnisstätte ein Automatensaal, in dem man gegen Einwurf eines Zwanzig-Cent-Stückes Trostsprüche der berühmtesten Kanzelredner englischer Zunge vernehmen kann. Eine mechanische Sargfabrik nebst Grabsteinschleiferei grenzt an das Grundstück. Ihre mustergültigen Produkte befriedigen die Ansprüche der verwöhntesten Kunden. 
Elihu Hannibal I. T. Gravemaker ist der Schöpfer des Unternehmens. Bei seiner Beerdigung am 17. Mai 1894 wurde der Rekord der Bestattungstechnik in den Vereinigten Staaten erreicht. Punkt 12 Uhr setzte sich der Trauerzug in Bewegung, 12 Uhr 10 Minuten begann die Beisetzung, sieben Minuten später erfolgte die Rückfahrt der Leidtragenden, und 12 Uhr 25 Minuten vereinigte man sich zu einem Lunch im Fourty-sixth-Avenue-Hotel. Um 1 Uhr erschienen gleichzeitig im Necropolis Sun und im Dacota Herald die Berichte über das Leichenbegängnis, um 1 Uhr 30 begann die Versteigerung der Hinterlassenschaft, um 4 Uhr enthüllte man auf dem Central Union Square ein Granitdenkmal mit dem Bilde des Verewigten, und um 6 Uhr abends wurde in Gravemakers Wohnhause gemäß seinen Testamentsbestimmungen ein neues Klublokal eingeweiht. 
Es drängte mich, meine Bewunderung über die klug durchdachte Anlage dem Direktor auszusprechen, der die obern Stockwerke des freundlichen Leichenhauses bewohnte. Aber in dem Augenblick, wo ich den Aufzug zu betreten mich anschickte, überraschte und verletzte mich ein unerfreulicher Eindruck. Ich konnte nicht umhin, den Direktor über diesen Zwischenfall zu befragen. 
»So sehr ich Ihre Einrichtungen zu schätzen weiß«, sagte ich ihm, »darf ich doch nicht verhehlen, daß ich durch Zufall auf eine Anordnung aufmerksam geworden bin, die mich peinlich berührt hat. Was veranlaßte Sie, diesen immerhin geweihten Ort durch eine Telephonstation zu schänden? Ich habe bemerkt, daß eine solche in der Leichenhalle neben der Kapelle untergebracht ist. Das fortwährende Klingeln wirkt beunruhigend. Was bezwecken Sie damit?«
»Ich bedaure, daß die Tür offen stand,« antwortete der Direktor kurz, »sonst bemerken unsre Besucher gewöhnlich nichts davon. Eine weitere Auskunft kann ich Ihnen leider nicht geben.«
Die Zeit schien mir gekommen, mich eines Tricks zu bedienen, den ich meinem geschätzten Freunde in New York, dem Rvd. Tiberius Q. Lewisson, verdanke, eines Tricks, der — ich bedaure, es sagen zu müssen — mir nicht ganz edelmütig, wohl aber durchaus zweckentsprechend scheint. 
»Ganz, wie es Ihnen beliebt,« bemerkte ich. »Jedenfalls werden Sie nichts dagegen einwenden, wenn ich den Blättern, die ich zu vertreten die Ehre habe, dem New-York-Herald, der Times, dem Figaro und dem Berliner Börsen-Courier, einen Artikel telegraphiere, der morgen mit der Überschrift ›Leichenschändung in Dacota‹ an hervorragender Stelle erscheinen wird. Sie gestatten mir, je drei Probenummern Ihnen zugehen zu lassen.« Nach einiger Überlegung erwiderte er: »Ich proponiere Ihnen folgendes Abkommen. Sie veröffentlichen Ihre Eindrücke nicht vor dem 15. Juni 1898, dem Tage, wo unser Kontrakt mit der Resurrection Co. abläuft. Dagegen gebe ich Ihnen sofort vollen Aufschluß. Sie können sicher sein, daß Sie mit Ihrem Artikel noch übers Jahr Sensation machen werden.«
Bevor ich den Bericht des Direktors folgen lasse, lege ich Wert darauf, festzustellen, daß der vorliegende Aufsatz laut Poststempel des Umschlages am 16. Juni 1898 bei dem Herausgeber dieser Zeitschrift eingelaufen ist. 

Der Direktor führte folgendes aus:
»Alle unsre Einrichtungen sind von dem Grundsatz bestimmt, nach Möglichkeit den peinlichen Zeitraum zu verkürzen, der zwischen dem Ableben eines Mitgliedes der bürgerlichen Gesellschaft und dem Augenblick liegt, wo die Hinterbliebenen ihre Berufsgeschäfte ungestört wieder aufnehmen können. Dieses gewiß lobenswerte Bestreben birgt eine Gefahr. Am 24. Juli des vorigen Jahres wurde auf Befehl des Richters die Leiche eines hochangesehenen und wohlhabenden Mannes exhumiert, der acht Tage zuvor bestattet worden war, und gegen den sich ein dringender Verdacht wegen Meineids, schwerer Urkundenfälschung, Betruges, Kuppelei und Selbstmords erhoben hatte. Ein Verdacht, der sich leider als begründet erwies. Der Anblick der Leiche war erschütternd. Sie lag auf dem Gesicht, mehrere Finger waren gebrochen, die Nägel zerrissen, an den Knien und Schultern zeigten sich Quetschungen und Wunden. 
Es war offenkundig, daß der Mann lebendig begraben worden war. 
Eine nervöse Erregung verbreitete sich in der Stadt, als der Fall bekannt wurde. Die Geistlichkeit suchte die Menge dadurch zu beschwichtigen, daß sie hervorhob, dieses Strafgericht der göttlichen Vorsehung sei hauptsächlich durch einige Verbrechen des Verstorbenen herbeigezogen. Der Erfolg war entgegengesetzt: die Angst stieg nun erst recht bis zur Sinnlosigkeit, und einige der achtbarsten Bürger, unter ihnen der stellvertretende Bürgermeister und der Vorsitzende des Kirchenrats, legten Hand an sich. Niemand wußte Rat. 
Während die Zeitungsschreiber sich monatelang von den abenteuerlichsten Vorschlägen nährten, konstituierte sich in aller Stille ein Unternehmen, das den fürchterlichen Konflikt mit einem Schlage zu lösen versprach: die Dacota- and Central-Resurrection Telephone and Bell Co., eine Aktiengesellschaft mit 750 000 Dollar Kapital. Der Prospekt brachte einen beispiellosen Erfolg. In zwei Stunden war an der Börse das Kapital vierzehnmal überzeichnet, die Lebensversicherungsgesellschaft und der Waisenrat beschlossen, alle verfügbaren Mittel in Anteilen der neuen Gesellschaft anzulegen, und die Tochter des Gymnasialdirektors bedrohte den Vorsitzenden des Syndikats mit einem Revolver, weil sie bei der Zuteilung nicht genügend berücksichtigt worden war. 
Die Idee des Unternehmens schien einfach und überzeugend. Jeder beigesetzte Sarg sollte durch eine elektrische Leitung mit dem Verwaltungsgebäude verbunden werden. An die Leitungen wurden Fernsprecher und Läutwerke angeschlossen und jeder Kunde (customer) konnte gegebenenfalls nicht nur augenblicklich die Verwaltung benachrichtigen, sondern auch bezüglich seines Hausarztes, seines Bankiers und seiner Familie die nötigen Verfügungen treffen. 
Mit großer Mehrheit wurde von der gesetzgebenden Körperschaft beschlossen, die Einführung dieser Sicherung sollte obligatorisch sein, und alsbald gewährte die Stadtverwaltung auf die Dauer von zwei Jahren der Resurrection Co. das ausschließliche Recht, ihre Apparate zu installieren. 
Die Beunruhigung der Bevölkerung schwand nach und nach, um so mehr, als während nahezu eines Jahres kein Fall der Bestattung eines Lebenden mehr eintrat. Im selben Maß ermattete aber das Interesse für die Resurrection Co., und der Kurs ihrer Aktien sank von 450 auf 117 ½. 
Da ereignete sich eine unerwartete Begebenheit. Am 23. Februar, kurz nach Sonnenuntergang, benachrichtigte man mich, daß zum ersten Male eine Glocke in kurzen Zeitabständen wiederholt angeschlagen habe. Die Klappe, die heruntergefallen war, zeigte die Nummer 169. Diese Zahl setzte mich in Erstaunen, denn wir waren damals bereits bei den Nummern um 1200 angelangt; sofort ließ ich das Kirchhofsjournal kommen und stellte als Inhaber von Nr. 169 einen gewissen Johnson fest, den ich persönlich gekannt hatte. Ein magerer alter Herr, der lange Zeit seinen Mietern große Angst einflößte und endlich einem Nervenleiden erlag. Zugleich bemerkte ich mit Entsetzen, daß Mr. Johnson bereits seit neun Monaten in der Erde ruhte. 
Ich nahm an, daß an der Leitung etwas nicht in Ordnung sei, und benachrichtigte den Elektriker. Der sprach, wie es bei diesen Leuten die Regel ist, von Kurzschluß und Erdströmen, schraubte alle Apparate los und brachte das Haus in einen unglaublichen Zustand. Nach drei Tagen erklärte er den Schaden für beseitigt und berechnete 275 Dollar. Inzwischen läutete Nr. 169 jeden Abend in gewohnten Zeitabständen ruhig weiter. 
Nun erstattete ich meiner vorgesetzten Behörde Bericht. Auf Antrag der Resurrection Co. beschloß die Kommission die Exhumierung. Diese fand statt, aber ohne jedes Ergebnis. Mr. Johnson zeigte die normale Verfassung eines Mannes, der seit neun Monaten beerdigt ist, der elektrische Apparat arbeitete tadellos, und nur am Sarge war eine kleine Reparatur erforderlich. Sie wurde ausgeführt, das Grab zugeschüttet —, und Nr. 169 ließ sich nicht mehr vernehmen. 
Die Resurrection Co. scheute sich nicht, trotz des amtlich festgestellten Befundes mit diesem bedauerlichen Vorfall Reklame zu machen. Sie erklärte, durch die Schuld meiner Verwaltung sei Mr. Johnson verhindert worden, ins Leben zurückzukehren, und brachte in allen Morgenblättern mein Bild mit der Unterschrift: »Der Kirchhofsmörder von Necropolis.« Eine Protestversammlung von 2500 Resurrection-Aktionären und Interessenten wurde abgehalten, und ich hätte für meine Stellung nicht fünf Cent gegeben, wenn nicht der Regierung meine Tätigkeit als Wahlagent in dem Stadtviertel, wo Mr. Johnsons Mieter wohnten, unentbehrlich gewesen wäre. Auch erklärten die Hinterbliebenen, deren Interessen immerhin als die nächsten zu gelten hatten, auf Mr. Johnsons Auferstehung keinen Wert zu legen. 
Der folgende Fall war ernster. Etwa vierzehn Tage nach Johnsons Wiederbestattung läutete abends zur gewohnten Stunde Nr. 289, eine Miß Simms, die sich zu Lebzeiten eines besondren Rufes nicht erfreut hatte. Auch sie war schon mehrere Monate bei uns. Gemäß der neuen Dienstanweisung der Kommission beauftragte ich meinen Inspektor, Miß Simms telephonisch anzurufen, obwohl ich das gegenüber einer Dame, die seit geraumer Zeit eines bessern Lebens teilhaftig war, für eine lächerliche, wenn nicht frivole Handlungsweise hielt. 
Sie hätten sehen müssen, wie der Inspektor zurückkam! Wachsgelb und hohlwangig; die Augen hingen ihm wie Glaskugeln im Kopf; ich kann nur sagen, daß sein Anblick an Mr. Johnson erinnerte. »Well, what’s the matter?« fragte ich. ›Well, ich rief an und hielt den Fernsprecher ans Ohr —, und ich will verdammt sein, wenn es nicht ganz deutlich ›Halloo‹ aus dem Apparat antwortete. Aber mit einer Stimme wie aus einem hohlen Brustkasten‹. … Ich ging selbst hinunter und schrie in den Apparat: ›Zum Teufel, ja, was wollen Sie eigentlich?‹ … Und wissen Sie, was das Frauenzimmer antwortete? ›Ich möchte mit Nr. 197 verbunden sein.‹‹
Diesmal war die Resurrection Co. in Verlegenheit. Schon früher hatte die Geistlichkeit im Verein mit dem theosophischen Klub die Frage aufgeworfen, ob das unterirdische Telephonnetz nicht geeignet sei, die heilige Ruhe der Toten zu stören. Wurde dieser Vorfall begannt, so hatte die Partei der Frommen gewonnenes Spiel, und das ist bei uns das Gefährlichste.
Es kam eine Einigung mit der Gesellschaft zustande, wonach diese der Presse 50 000 Dollar zur Verfügung stellte und sich verpflichtete, alle Fernsprecher innerhalb vierzehn Tagen zu beseitigen. Die Läutwerke zu entfernen, konnte sie sich nicht verstehen, denn das hätte ihre völlige Auflösung bedeutet. Unbegreiflicherweise ließ dagegen unsre Verwaltung sich zu dem Zugeständnis verleiten, daß nach wie vor bei hoher Vertragsstrafe diese verfluchten Klingeln niemals ausgeschaltet werden durften. Wir sind noch heute verpflichtet, sie von einer eigens angestellten Person bedienen zu lassen.
Miß Simms hörte auf zu läuten, sobald sie merkte, daß zu mündlichen Unterhaltungen keine Gelegenheit mehr war. Aber bald meldete sich ein neuör Korrespondent, und zwar, merkwürdig genug, nur bei Regenwetter. Einer meiner Leute kam auf den Gedanken, hinauszugehen, um zu sehen, was los sei: da ergab sich, daß infolge eines Fehlers der Entwässerungseinrichtung der Hügel unterspült wurde. Der Kunde soll, wie ich später erfuhr, stark rheumatisch veranlagt gewesen sein. Sofort wurde der Mißstand beseitigt, und es gab abermals Ruhe.
Daß es ein Fehler gewesen war, auf diese Beschwerde einzugehen, stellte sich bald heraus. Denn nun kamen sie von allen Seiten mit Privatwünschen und Nörgeleien. Der eine klingelte, weil seine Gittertür nicht schloß; bei einem andern war die Bank wacklig geworden; ein Dritter brauchte frischen Kies, der Vierte hatte Regenwürmer. Die Tätigkeit der Kirchhofsverwaltung hatte sich in einem Vierteljahr verdreifacht, und die laufenden Ausgaben waren auf das Vierfache gestiegen. Einzelnen Kunden genügte die Tätigkeit einer Katze aus der Nachbarschaft, um die Beamten mitten in der Nacht zu alarmieren. 
Das letzte Stadium dieser traurigen Entwicklung wurde durch einen ganz alltäglichen Fall herbeigeführt. Eine ältere unverheiratete Person signalisierte beständig ohne erkennbare Veranlassung. Es blieb nichts übrig, als auf schonendste Weise die Hinterbliebnen zu verständigen, und diese fanden heraus, daß eine boshafte Anverwandte in verletzender Andeutung eines frühem Vorfalls auf dem Grabe einen Myrtenkranz niedergelegt hatte. Es war leicht, die alte Dame zu beruhigen, aber das hatte zur Folge, daß nun unsre Kunden ganz allgemein das Tun und Lassen ihrer Hinterbliebnen in den Kreis ihrer Beschwerden zogen. Eine Dame findet z. B., daß ihre vier Schwiegersöhne zu früh zur Halbtrauer übergehen. Sie läutet täglich zwischen 6 und 8. Ein Schriftsteller ist mit der Grabschrift nicht zufrieden. Ein Telegraphenbeamter läutet mit kurzen und langen Intervallen, in einer Art Morseschrift, eine Kritik seines Nachfolgers. Ein Beispiel besonders anstößiger Einmengung in die Familienverhältnisse Hinterbliebner gibt jedoch bis auf den heutigen Tag ein gewisser Hopkins, den ich aus diesem Grunde namhaft zu machen mich nicht scheue.
Mr. Hopkins, ein fünfundsechzigjähriger, sehr begüterter Mann, hinterließ eine Frau von etwa zweiunddreißig Jahren. Es war zu erwarten, daß sie Verehrer finden würde, und Hausfreunde sind der Ansicht, daß gerade Mr. Hopkins am wenigsten berechtigt gewesen wäre, hieran Anstoß zu nehmen. Kaum drei Monate nach dem Begräbnis ging die Klingelei los. Als Mrs. Hopkins hiervon Kenntnis erhielt, war sie trostlos. Das Zusammentreffen der Eifersuchtsanfälle ihres weiland Gemahls mit den Besuchen ihres Liebhabers war augenfällig. Manchmal meldete sich der Ehegatte morgens, manchmal nachmittags, meist aber abends, wie denn überhaupt die Zeit von sieben bis elf Uhr bei uns die bewegteste ist. Und jedesmal rasselte die Klingel wohl eine Viertelstunde lang in eigentümlich kadenziertem Tempowechsel. Mehrere Monate lang entzog sich die arme Frau durch eine Reise über den Ozean ihrem Verfolger. Erst gestern früh kam sie zurück —, und wirklich hat dieser infame Hopkins in der letzten Nacht bereits wieder viermal angerufen! …«
Die Geschichte fing an, mich zu ermüden. Der Direktor verlor sich in Einzelheiten.
»Nun, was sind Ihre Ansichten betreffs der Zukunft?« fragte ich. 
»So kann es auf die Dauer nicht gehen. Wir arbeiten uns auf. Ich habe mit meinem Bruder, dem Manager des Fourthy-Sixth-Avenue-Hotel, gesprochen; er suchte mir klarzumachen, daß seine Gäste noch anspruchsvoller seien, und schlug mir vor, die Preise zu erhöhen. Aber das ist schwierig. Meine Hoffnung besteht in der Aufhebung des Vertrags mit der Resurrection Co.«
»Aber Sie sagten mir, das würde die Existenz der Gesellschaft gefährden?«
»In diesem Augenblick vielleicht nicht mehr. Sie steht mit drei weitern Städten in Unterhandlung. Unsre Kommission stellt ihr glänzende Empfehlungen aus. Wir sind auch bereit, eine Abstandssumme anzubieten. Vor allem liegt aber ein nahezu zwingender Grund vor. Der eine der Direktoren ist hochgradig schwindsüchtig und von den Ärzten aufgegeben. Natürlich wird er hier begraben werden. Mit dem Manne konnten seine Kollegen schon zu Lebzeiten nicht fertig werden —, nun denken Sie: wenn der die Klingel in die Hand bekommt! …«
Das leuchtete mir ein, und ich begriff, warum der Kirchhofsverwalter mir nur bis zum 15. Juni 1898 Schweigen auferlegt hatte.
Aus New York kabelt man mir, daß der kranke Direktor durch den Gebrauch von Dr. Hamilton S. Myerstines Hämatose (in allen Apotheken erhältlich) gerettet worden ist. Er hat den Weg von Necropolis, Dacota, bis Key West per Rad zurückgelegt und stellt jetzt Beobachtungen über das Gelbe Fieber an. 
Die Resurrection Co. ist jetzt damit beschäftigt, acht Kirchhofsinstallationen in den Vereinigten Staaten auszuführen, und hat ihr Kapital auf 7½ Millionen Dollar erhöht. Erste Bankinstitute, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Interessen des deutschen Kapitals in Amerika zu vertreten, sollen im Begriff stehen, sich einen erheblichen Anteil an dem Unternehmen zu sichern. 
Unter diesen Umständen betrachtete ich es vom wirtschaftlichen Standpunkt aus als eine zeitgemäße Aufgabe, über die Tätigkeit der Gesellschaft, so weit es mir möglich war, Aufschlüsse zu geben.

Walther Rathenau: Die Resurrection Co. In: Ders.: Gesammelte Schriften in fünf Bänden. Bd. 4: Aufsätze. Berlin: S. Fischer 1918, S. 285–297.
EA: W. Hartenau [i.e. Walther Rathenau]: Die Resurrection Co. In: Die Zukunft 24 (9.7.1898), S. 72–78.