Schloss mit Anschluss

In Jules Vernes »Le Château des Carpathes« (1892; dt. 1893 »Das Karpatenschloss«) wird vom Schloss her mittels Telefonleitung ein Wirtshaus überwacht und erfolgen durch Lautsprecherdurchsagen verschiedene Beeinflussungen. Wer sich an Kafkas »Schloss«-Roman und die Bedeutung des Telefons für Wirtshaus wie Schloss-Behörde erinnert, mag hier eine Koinzidenz erahnen. Dass nun bei Verne Telefon und Telephot gekoppelt werden, die Videotelefonie ihren Einzug hält, ist bemerkenswert.


Zu jener Zeit – wir betonen ausdrücklich, daß diese Geschichte sich in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts abspielte – war die Anwendung der Elektrizität, die mit Recht als »die Seele des Weltalls« betrachtet wird, zur höchsten Vollkommenheit gediehen. Der berühmte Edison und seine Nachfolger hatten ihr Werk selbst übertroffen. 
Unter anderen Apparaten fungierte das Telefon mit so wunderbarer Sicherheit, daß die von der Schallplatte aufgenommenen Töne ohne Hilfe eines Hörrohrs deutlich zum Ohr drangen. Was da gesprochen, gesungen und geflüstert wurde, konnte man auf jede beliebige Entfernung hin verstehen, und zwei durch tausende von Meilen getrennte Personen plauderten miteinander, als ob sie sich Auge in Auge gegenüber am Tisch säßen*. 
[FN mit Asterisk:] * Sie konnten sich sogar durch mit Drähten verbundene Spiegel, dank der Erfindung des Telephots, deutlich sehen. 

Der Baron von Gortz ging auf einen diesbezüglichen Vorschlag mit Feuereifer ein, und Orfanik stellte einen besonders konstruierten Apparat her, der ausschließlich bestimmt war, die weitere Umgebung durch Erscheinungen zu erschrecken, die die etwas beschränkten Bewohner nur einer Mithilfe des Höllenfürsten zuschreiben konnten. 
In erster Linie kam es dem Baron von Gortz darauf an, immer über das informiert zu sein, was die Leute im nächsten Dorf redeten. Gab es also ein Mittel, diese Leute bei ihren Gesprächen zu belauschen, ohne daß sie etwas davon ahnten? – Gewiß, dazu gehörte ja nur, daß eine telephonische Verbindung zwischen dem Schloß und der Gaststube des ›König Mathias‹, wo die »Standespersonen« von Werst verkehrten, hergestellt wurde. 
Eine solche führte denn Orfanik, nicht minder geschickt als unbemerkt, auf einfachste Weise aus. Ein mit isolierender Schicht umhüllter Draht, dessen eines Ende am ersten Stockwerk des Wartturms befestigt war, wurde durch das Wasser des Nyad bis zum Dorf Werst geleitet. Nachdem das geschehen war, brachte Orfanik, der sich als Tourist vorstellte, eine Nacht im ›König Mathias‹ zu, um jenen Draht mit der Gaststube des Hauses in Verbindung zu setzen. Begreiflicherweise machte es ihm keine besonderen Schwierigkeiten, das im Bett des Bergbachs versenkte andere Ende bis zur Fensterhöhe der hinteren Hauswand an einer Stelle hinaufzuführen, wo ihn niemals eine Menschenseele suchte. Nachdem er hier ein Telephon, unter dem Blätterwerk der Mauer verborgen, angebracht hatte, verknüpfte er es mit dem Leitungsdraht. Der betreffende Apparat war übrigens ebenso zum Auffangen von Lauten wie zum Selbstsprechen eingerichtet, und infolgedessen konnte der Baron von Gortz alles hören, was im ›König Mathias‹ gesprochen wurde, aber auch alles, was er wollte, hier zur Vernehmung bringen. 

Usw. usf. Es gäbe noch mehr zu exzerpieren; festzuhalten: die Veröffentlichung bereits 1893 auf DE (Dracula wird erst 1908 von K. gelesen worden sein können), die Kombination von Telefon und Projektion zu einer Idee der Videotelefonie, die Möglichkeiten der Surveillance und Einflussnahme mittels Stimmen. Selbstverständlich sind Fragen der Geister mit im Spiel, werden Neue Medien hier geradezu prototypisch als Geistererscheinungsbedürfnisanlagen zur Anwendung und Geltung gebracht. Wenn man ›Kafka‹ sagt, ist er am Apparat … 1, 2, 3. (Dazu im Verschollenen, im Process und im Schloss … überall Telephone.) Und: Rathenau, 1898. Und wie es in den Bureaus der Zeit zugeht, rummst und summt und sich verbindet: Maschinen bewegen selbst sich, Parlographen und Grammophone telefonieren, Mina tippt vampirisch anti-vampiresk … die Anschlussfähigkeit des Schlosses mit den Mitteln der Schreibmaschine.