Die Traum-Darstellung vom 6/VIII/1922 beherrscht einerseits das Tages-Notat (das in der Folge in toto wiederzugeben ist) weitgehend, andererseits ist sie selbst durch zahlreiche Verweise, Anspielungen und eine außerordentliche Dichte des Textes ausgezeichnet. Wiewohl Traum-TAGe mitunter leicht in die Kategorie der stilisierten TAGe fallen – wobei die Problematik einer Unterscheidung im schreibenden Subjekt begründet ist, welches einen Traum abzubilden vorgibt, – zeigt besagter TAG, inwieweit sich die Absicht des bewussten Produzierens (der künstlerischen Tätigkeit), des Einsatzes entsprechender Mnemotechniken und zugleich vermutbare Stilisierungen und bewusste Strukturierung (bei gleichzeitig vorgeschobener Analyseabsicht – einem als rational geltenden Akt) ineinander verschränken:
6/8 S. Träume: besuche die Wydenbruck (Besuch Max etc. bei Baronin Aurelie – Verführer!) – warte im Salon;– dort eine Photographie – wie die Gräfin im Salon sitzt, und ich komme von rückwärts, Stufen, Kamin, mit Cigarette – aber eigentlich ist es ein Panoramabild, das ich von oben durch Glas (wie die Krippenausstellung in München) plastisch sehe – aber undeutlich – ärgerlich dass ich den Zeiss nicht auf die Reise mitgenommen (was nicht stimmt). Dann wieder oben – sehe ich eine Pantomime (Verf!) oder Kinoaufnahme – die Hohenfels – ich wundre mich, wie blond und jung aussehend, barfuß auf Kies längs eines Bachs (etwa auf der Flucht, wie Hirtenflöte – Dionysia) – dann im Wasser ein junger Mensch – schwimmend,– es ist nun ein [etwas] breiterer Fluß – ich denke – was so ein Kinoschauspieler alles thun muß – ;– endlich träum ich von Ludaßy wieder – wundre mich, dass er nun gehen kann (nachdem mir doch die Natur seines Ischias bekannt!) –
Arthur Schnitzler, Tagebuch-Eintrag – ein TAG – vom 6. August 1922, Abschrift entsprechend der handschriftlichen Eintragung
– Alle drei Hauptpersonen dieses Traums – sind (ohne dass es mir außer bei L. im Traum bewußt wird) an Carc. erkrankt; die Hohenfels schon seit Jahren todt.–
Wache wieder in schwerer Düsterkeit auf.
(Rh. Hof, München)
Vm. gepackt, telegrafirt u. dgl.–
Zum »Schauer« – mit O., Lili und Pollaczeks zu »Elisabeth«, dort alle gegessen.
Nm. am Verf. Notizen zum 1. Akt. Mehr Hoffnung.
Abends zum »Schauer«. Chapiro’s gaben mir ein Nachtmahl. Ch. begleitet mich zu Elisabeth;– nach einigem Zögern spricht er von O.– wie sie neulich Abends geweint, wie verzweifelt sie wieder nach einigen Tagen der Hoffnung sei;– sie schaudere vor dem Winter – zähle die Tage, solang sie noch die Kinder habe;– ich zeige ihr keinen Weg;– sie wisse nicht was und wohin – endlich sprach sie davon sich das Leben zu nehmen – – Ich sagte Ch.: – er könne nun einmal nicht urtheilen, da er die Geschichte dieser letzten Jahre nicht kenne,– – entschlösse ich mich jetzt, das gemeinsame Leben (unter einem Dach) wieder aufzunehmen – so sei ein schlimmeres als ein tragisches Ende vorherzusehen – G. hat Ch. vor kurzem in Salzburg gesprochen; – er hänge an ihr – wie nur je;– sie aber habe endgiltig mit ihm gebrochen;– sehe nur den einen Weg vor sich;– oder allein sein.– Der Conflict wird immer qualvoller.–
Zunächst ist in der Traumdarstellung ein Bruch zu konstatieren, gegen Ende des ersten Absatzes, der in der Folge nicht nur im Zusammenhang mit einer Vermeidung der Nennung optischer Gerätschaften und ausgefeilter Perspektiven festzumachen ist, sondern auch durch die Kenn-Zeichnung: »– ;–«! Bemerkenswert ist auch, dass die Passage »(Rh. Hof, München) augenscheinlich (auszugehen ist von der Handschrift) eine spätere Eintragung Schnitzlers darstellt, auch das weitere Notat wurde eindeutig zu einem späteren Zeitpunkt verfasst, wohingegen der TAG bis zu dieser nachträglichen, realen Ortsangabe in einem Zug notiert wurde. Ob die Unterstreichungen von Schnitzler selbst stammen (etwa im Zuge einer Relektüre, was bei ihm öfter und dann jeweils systematisch durchgeführt wurde), kann nicht mehr festgestellt werden, insofern sollen diese (im Gegensatz zur Ausgabe durch die Akademie der Wissenschaften) auch hier erhalten bleiben.