Beweis dessen, dass auch unzulängliche, ja kindische Mittel zur Rettung dienen können.
Franz Kafka – Oxforder Oktavheft 7, ca. Oktober 1917, p. 11 verso bis 13 verso:
Um sich vor den Sirenen zu bewahren, stopfte sich O. Wachs in die Ohren und liess sich am Mast festschmieden. Ähnliches hätten natürlich seit jeher alle Reisenden tun können (ausser jenen welche die Sirenen schon aus der Ferne verlockten) aber es war in der ganzen Welt bekannt, dass das unmöglich helfen konnte. Der Sang der Sirenen durchdrang alles gar Wachs, und die Leidenschaft der Verführten hätte mehr als Ketten und Mast gesprengt. Daran nun dachte aber O. nicht obwohl er davon vielleicht gehört hatte, er vertraute vollständig dem Handvoll Wachs und dem Gebinde Ketten und in unschuldiger Freude über seine Mittelchen fuhr er den Sirenen entgegen.
Nun haben aber die S. eine noch schrecklichere Waffe als ihren Gesang nämlich ihr Schweigen. Es ist zwar nicht geschehn, aber vielleicht denkbar, dass sich jemand vor ihrem Gesang gerettet hätte, vor ihrem Verstummen gewiss nicht. Dem Gefühl aus eigener Kraft sie besiegt zu haben, der daraus folgenden alles fortreissenden Überhebung kann nichts Irdisches widerstehn.
Und tatsächlich sangen als O. kam, diese gewaltigen Sängerinnen nicht, sei es das sie glaubten, diesem Gegner könne nur noch das Schweigen beikommen, sei es, dass der Anblick der Glückseligkeit im Gesicht des O. der an nichts anderes als an Wachs und Ketten dachte, sie allen Gesang vergessen liess.
O. aber um es so auszudrücken hörte ihr Schweigen nicht, er glaubte, sie sängen und nur er sei behütet es zu hören, flüchtig sah er zuerst die Wendungen ihrer Hälse, das Tiefatmen, die tränenvollen Augen, den halb geöffneten Mund, glaubte aber dies gehöre zu den Arien die ungehört um ihn erklangen. Bald aber glitt alles an seinen in die Ferne gerichteten Blicken ab, die S. verschwanden ihm förmlich und gerade als er ihnen am nächsten war, wusste er nichts mehr von ihnen.
Sie aber schöner als jemals streckten und drehten sich, liessen das schaurige Haar offen im Wind wehn, spannten die Krallen frei auf den Felsen, sie wollten nicht mehr verführen, nur noch den Abglanz vom grossen Augenpaar des O. wollten sie so lange als möglich erhaschen.
Hätten die Sirenen Bewusstsein, sie waren damals vernichtet worden, so aber blieben sie, nur O. ist ihnen entgangen.
Es wird übrigens noch ein Anhang hiezu überliefert. O. sagt man, war so listenreich, war ein solcher Fuchs, dass selbst die Schicksalsgöttin nicht in sein Innerstes dringen konnte, vielleicht hat er, obwohl das mit Menschenverstand nicht mehr zu begreifen ist, wirklich gemerkt, dass die Sirenen schwiegen und hat ihnen und den Göttern den obigen Scheinvorgang nur gewissermassen als Schild entgegengehalten.