ad Büchner/Dantons Tod, Grillparzer/Selbstbiographie, Stoker/Dracula, Kafka/Process etc. (der arme Amtmann G. verleumdet und eröffnet den Process, K. wird processiert, Dantons Tod ist Kafkas Ende – die beiden Aktendeckel des Anfangs und des Ende aus dem August 1914, ab dann werden die Hefte in den Akt geschrieben/abgelegt, dieser wächst; Verhaftung meint hier stets auch: das Verhängnis/Urteil von Beginn an)
Immer wieder wird das »Teater« angesprochen, gibt es Zuseher:innen, werden Schauspieler:innen aufgerufen, wandeln sich Figuren zu diesen oder werden dazu erklärt. So wie Verwandlungen von Szenen und Figuren eine Rolle spielen, wird wesentlich auch der Verwaltungsakt prozessiert und nach Abschluss, Lochung des nunmehrigen, statistisch erfassbaren Durchschnittsmenschen K., expediert (wenngleich in die Schublade und vorerst noch nicht zum Verlag).
Also spielen wir Theater, spielen unsere eigenen Stücke; als würde der Loris-Hofmannsthal das nicht dem Schnitzler-Anatol voranstellen (Wir spielen immer, wer es weiß, ist gut – lautet dessen späteres Echo) – Kafka macht damit literarisch-administrativ Ernst. So wie er sich administrativer Elemente und Abläufe bedient, um sie in theaterhaft aufgezogene Szenen zu bringen, nützt er Inszenierungen, In-Szene-Setzungen, theatralische Kadrierungen (Schauplatzbeschränkungen), um die Verarbeitungsvorgänge in Verwaltungsapparaten nachzuzeichnen. Der Process an sich findet auf (improvisierten – auch hier: ad hoc-Verfahren) Bühnen, zwischen den Zeilen, im anschwellenden Akt von K.s Process, in Verwaltungs- und privaten Räumen statt; gerade die ansatzlose Ablöse des einen Geschehens durch das andere, immer die Dynamik einer Entwicklung beibehaltend, macht deutlich, dass sowohl das eine wie das andere untrennbar miteinander verbunden ist. Ohne die Performanz-Effekte des Theaters sind die Emergenz-Möglichkeiten eines Verwaltungsprozesses nicht zu denken – und umgekehrt. Da dies aber im Amt letztlich immer linearisiert schriftlich ausgehen wird, die finalen Handgriffe im Sinne von Normen und Vorgaben standardisieren (Danton, Dracula, K. – Kopf ab), wird dieses Theaterstück nicht ›gut‹ ausgehen können, zugleich aber auch nicht ›tragisch‹. Während aber die Verhaftung noch nachgespielt werden kann – hier wie in so vielen anderen Szenen gibt es Zuschauer:innen und Zeug:innen und werden diese auf die eine oder andere Weise einbezogen – , ist das nach Abschluss des Processes, nachdem eine Entscheidung beobachtet wurde, nicht mehr möglich. Der privatime Charakter rührt daher (wie bei den Schnellgerichten der Französischen Revolution – Im Namen der Republik! bei Büchner –, den Petty Sessions der britischen Justizbeamten in Irland – Duties of Clerks – und Van Helsings Kommandounternehmen Dracula zu ermorden bei Stoker, den teils absurd und doch den Prozess vorantreibenden ad hoc-Verfahren zwecks schrittweiser und mit dem Anschein des ›Schwebens‹ versehener Urteilen bei Kafka), dass immer nur in kleinen Kreisen und Gremien Akte der Rechtsprechung inszeniert und gesetzt werden. Von einer Schreibstube zur nächsten Kanzlei, von einer Entscheidung zur nächsthöheren. So sehr diese Theater Verwaltungsschritte zum Thema haben und öffentlich inszenieren, so sehr bedient sich die Process-Administration theatralischer Mittel, die von außen uneinsehbar hinter verschlossenen Türen (damit: nicht beeinspruchbar) Entscheidungen ermöglichen. K. will mit dramaturgischen wie mit administrativen Mitteln dem Verlauf beikommen, doch ist er, scheint’s, stets zur Unzeit mit dem einen oder dem anderen zugange. Während Verwaltungsakten meint er im Theater zu sein, während Aufführungen vor dem Gesetz.
So wie K. der F.B./Frl. Bürstner/Felice Bauer am Ende des eröffnenden, des ersten (Verläumdungs-) Heftes, die Szene seiner Verhaftung nachspielt, ihm Spaß und Ernst durcheinanderkommen, so wird eine an F.B. erinnernde Figur im Ende-Heft am Weg zur Mördergrube auftauchen und eine Weile ihr zu folgen sein: vom Verhafteten und seinen Wächtern, die er als Schauspieler zu erkennen versucht. Dass K. mit seinen Mitteln und seinem Verständnis stets zur Unzeit am Theater oder in amtlicher Verhandlung ist, zeigt sich in der Türhüter-Parabel Vor dem Gesetz exemplarisch. Das war alles nur inszeniert. Man erkennt es und nützt das – oder die Türe wird geschlossen. Da aber dieses ursächliche Verhängnis zu erkennen und entsprechend der Richtlinien und Möglichkeiten aufzulösen nicht so einfach ist, wird man immer schon verhaftet gewesen sein (und wird die Scham über dieses Versagen einen überleben).
Abgesehen davon, dass zwei Theaterstücke Schreibende wie Grillparzer und Büchner für Anfang/Ende im August 1914 herangezogen werden, abgesehen davon dass bei beiden die je persönlichen Lebensläufe mit Konflikten gegenüber Amt und Justiz, Rechtsprechung, versehen sind, abgesehen davon dass mit Danton ein Ankläger selbst zum Angeklagten wird und keine rhetorische Übung vor noch so viel Publikum mehr etwas am Urteil zu ändern vermag; (sowieso ganz davon abgesehen dass die Vampirbürokratie Stokers und seine Amtsvorschriften Medientechniken und Verwaltung und Thaterstücke prizipiell als in eins gesetzt zu verstehen geben) …
Wenn es denn stimmt, dass Kafka für seinen Process sich sowohl amtlicher wie theaterhafter Mittel bedient, die komplex ineinander verzahnt, so dass das eine oder dem anderen nicht auskommen mag, legt er auch eine medientechnisch zu lesende und auf entsprechende Emergenzen verweisende Amtsabhandlung vor, die von der Bedeutung des Informellen, von Performanzen, Inszenierungen, Entscheidungen handelt. Während Das Schloss administrativ genutzte Medien und Räume und darin je unterschiedlich bedeutungsschwanger eingelagerte Entscheidungsabläufe aufs Papier bringt, werden im Process die Medien des Theaters und der Rechtsprechung in eine (sehr komische und) letztlich nicht mehr auflösbare Wechselwirkung gebracht – und genau darum geht es wesentlich auch. Dass dabei Köpfe rollen, Hälse umgedreht werden, Herzstiche erfolgen, Tabelliermaschinen im Stanzen elektronisch die Ermittlung menschlichen Durchschnittsmaßes unterstützen, aufs Maß hin dekaptiert wird, gehört mit zu den genauesten Verhandlungen.
Der Process und die amtlichen Inszenierungen, Das Schloss und die amtlichen Medien wie Räume, die Amtsinstruction von 1855 und die Kanzleireform des Kielsmansegg von 1906 (und die Kanzleiordnung des Mannlicher von 1923), der Mann ohne Eigenschaften als Ministerial(medien)bürokratie die sich selbst nur noch in den Krieg mitmacht und diesen auslöst, von laufenden Fehleinschätzungen begleitet, als würde K. die Regie über- und den (Stuhl)Richer(Amts)stuhl eingenommen haben.
Kanzleiordnungen sind Regieanweisungen, wie und mit welchen Mitteln zu Entscheidungen zu kommen ist.