Der fleißige Philipp und der faule Fritz [S. 1–3]
Das Avancement [S. 4–6]
Der Schieber [S. 7–12]
Als aus dem schönen Paradies
Die ersten Menschen Gott verstieß,
Da ließen sie, nebst ander’m Glück,
Auch die Zufriedenheit zurück,
Das höchste Gut, mit dem auf Erden
Kein zweites kann verglichen werden.
Doch weil sie gar so elend schienen,
Verlieh der milde Schöpfer ihnen
Zum Seelentroste und zur Labe
Des Schimpfens wunderbare Gabe.
Und heut noch, wo es Menschen gibt,
Ist auch das Schimpfen sehr beliebt.
Ich würde Bände füllen können,
Wollt ich die Gegenstände nennen,
Die in der Aktenmenschen Leben
Zu großem Schimpfen Anlaß geben,
Den Ärger gibt es ohne Frage
Am grünen Tische alle Tage.
Betrachten wir einmal im Ganzen
Nur die verschiedenen Instanzen:
Daß sie sich gegenseitig lieben,
Steht nirgends in der Welt geschrieben,
Sie schimpfen au contraire mit Macht
Oft aufeinander, daß es kracht;
Denn »oben« heißt es: »Unverläßlich
Sind die da »unten«, das ist gräßlich!
Was die für krasse Fehler machen,
Selbst bei den allerkleinsten Sachen!
Nie kriegt man instruiert ein Stück,
Und gibt man’s hundertmal zurück.
Termine, etwas auszuführen,
Die tun sie einfach ignorieren,
Und vollends die Normalien sind
Für sie nur blauer Dunst und Wind.
Dabei noch bilden sie sich ein,
Daß sie die ganz Gescheiten sei’n!«
Doch bei der unteren Behörde
Hört oft man folgende Beschwerde:
»Nein, was die oben alles treiben,
Das läßt sich wirklich nicht beschreiben!
Was man auch macht, ob gut, ob schlecht,
’S ist ihnen ungeschaut nicht recht:
Mit einem Schieber kommt zurück
Zumindest jedes zweite Stück,
Das Simpelste auf Gottes Erden
Muß tausendmal erhoben werden
Und glaubt man: nun ist’s abgetan.
So fangen sie von vorne an.
Und was sie treiben mit Terminen:
Man müßt,s [sic] zerreißen, ging’s nach ihnen!
Dann vollends wie sie decretieren,
Vom grünen Tisch die Welt regieren:
Für alle möglichen Lappalien
Gibt’s einen Haufen von Normalien,
Auf diesen reiten sie herum.
Man wird zuletzt noch selber dumm,
Dabei noch bilden sie sich ein,
Daß sie die ganz Gescheiten sei’n!«
Es ist nun aber alles dies
Kein wesentliches Hindernis,
Daß jedermann nach »oben« trachtet
Und nach der Einberufung schmachtet.
Doch ist es einem dann gelungen,
Und hat er sich hinaufgeschwungen,
So fühlt er sich sogleich auch ganz
Als Mann der oberen Instanz,
Und schimpft vergangenheitsvergessen,
Auf »die da unten« wie besessen.
Der Chef von Fritz und Philipp war
Vergnügt im Herzen immerdar,
Denn prächtig gingen die Geschäfte,
Trotz aller Schonung seiner Kräfte,
Und wenn der Fritz auch gar nichts tat,
Der Philipp zog an seiner Statt.
Da kam von »oben« her
Ein wohlversiegeltes Couvert
Mit dem Vermerk »zur eignen Hand«
– das ist was Großes, wie bekannt –
Doch der Erlaß vom hohen Orte
Enthielt die inhaltsreichen Worte:
»Seit einem Jahr verdoppelt fast
Hat hieramts sich die Arbeitslast,
Auch ein Complex von großen Fragen
Ist in der Zukunft auszutragen.
Man braucht für diese Amtsgeschäfte
Zur Hilfe frische junge Kräfte,
Daher in allerknappster Frist
Ein Antrag zu erstatten ist
Auf Einberufung eines jungen
Beamten, welcher ganz durchdrungen
Von Wissen und von Arbeitskraft,
Beschickt und unermüdlich schafft.«
Als diesen wichtigen Erlaß
Der Chef erhielt, erschrak er baß
Und war durch eine lange Zeit
In peinlicher Verlegenheit.
Er mußte bei dem Stand der Sachen
Den Vortrag nämlich selber machen,
Und daß derselbe schwierig war,
Das war ihm ohne weiteres klar.
»Wen soll ich nennen?« seufzt er kläglich,
»Den Philipp? Nein, das ist unmöglich, –
Denn – ehrlich! – wie ein Bissen Brot
Tut seine Gegenwart mir not.
Hingegen wär zu dieser Zeit
Die herrlichste Gelegenheit,
Den Fritz manierlich abzutauchen,
Den kann ich absolut nicht brauchen:
Doch einen Haken hat’s, o weh:
Recht minder ist sein Renommee!
Nun freilich gibt an hohem Orte
Man ziemlich viel auf meine Worte,
Ich müßte nur die Lösung finden,
Mich da geschickt herauszuwinden;
Doch wie? Die Sache kann ich eben
Dem Philipp doch nicht übergeben,
Ja, nicht einmal mit ihm besprechen.
Ich muß mir selbst den Kopf zerbrechen!«
Es fing hierauf der gute Mann
Unendlich tief zu denken an;
Doch war er dieser Tätigkeit
Total entwöhnt seit langer Zeit;
Und rieb er sich auch wund die Stirne,
Ganz stille blieb es im Gehirne.
Er schrieb, er strich, zerriß und fing
Von vorne an das böse Ding.
Das Denken, diesmal unentbehrlich,
Erschien ihm überaus beschwerlich,
Doch hat er endlich dann zuletzt,
Wie folgt, den Vortrag aufgesetzt:
»Den Philipp bin ich ohne Frage
Nicht zu empfehlen in der Lage.
Wenn auch der Fleiß vielleicht dem Mann
Nicht abgesprochen werden kann,
So fehlt’s ihm dennoch an Geschick,
Und namentlich der weite Blick,
Der hohen Orts so wichtig eben,
Ist absolut ihm nicht gegeben.
Man kann daher bei so bewandten
Verhältnissen dem Obengenannten
Nur kleine Sachen übertragen,
Bei großen würde er versagen.
Dem Philipp ist der Fritz dagegen
In jeder Hinsicht überlegen:
Er ist, das läßt sich nicht bestreiten,
Ein Mann von hohen Fähigkeiten,
Und, was besonders zu beachten:
Stets nach dem Großen geht sein Trachten.
Wenn er auch hieramts in der Tat
Vielleicht nicht stets geleistet hat,
Was man mit Recht erwarten könnte
Von so bedeutendem Talente,
So muß man in Erwägung zieh’n:
Hier ist kein rechter Platz für ihn;
Denn alle großen, schweren Sachen,
Die pflege ich allein zu machen,
Die kleinen aber sind zumeist
Zu inferior für seinen Geist,
Ihm fehlt daher von Zeit zu Zeit
Die rechte Arbeitsfreudigkeit.
Gilt es hingegen, große Fragen
Mit Geist und Scharfsinn auszutragen
Wo nur Talent die Lösung sieht,
Wie dieses hohen Orts geschieht:
Da wird der Fritz unzweifelhaft
Bewähren seine Arbeitskraft.
Wenn ich ihn auch aus meiner Nähe
Nur äußerst ungern scheiden sähe,
So darf ich doch auch nicht vergessen
Des hohen Dienstes Interessen,
Und dieserhalben muß ich sagen:
»Der Fritz allein ist vorzuschlagen«.
Als hier der Chef den Schlußpunkt machte,
Da war er sehr vergnügt und lachte:
»Ich nenne jeden einen Tropf,
Der sagt, ich sei kein feiner Kopf!«
Er stieg bei dieser Selbstbetrachtung
Erheblich in der eig’nen Achtung.
Doch salbungsvoll am hohen Orte
Sprach man die inhaltsreichen Worte:
»Man hätte eigentlich gedacht,
Daß sich der Philipp besser macht,
Der Fritz hingegen galt zumeist
Für einen inferioren Geist;
Nun aber ist es sonnenklar,
Daß diese Meinung irrig war,
Denn über alles Lob erhaben
Sind des Berichterstatters Gaben.
Dem Fritz hat Unrecht man getan,
Er ist ein tücht’ger junger Mann,
Daher berufe man ihn ein,
Hier wird er schon am Platze sein.«
Nun, liebe Kinder, zieht einmal
Aus der Geschichte die Moral:
War’s nicht ein rührend schönes Ding,
Wie jeder Chef an Philipp hing?
Seid immer nur darauf bedacht,
Daß ihr euch unentbehrlich macht.
Und seit [sic] ihr immer brav geblieben,
Dann wird auch euer Chef euch lieben.
Fritz »oben« [S. 18–25]
Philipps Erhöhung [S. 26–31]