Niklas Luhmann, Dissertation, erscheint. 1966, gleich eingangs in seinem Kapitel über »Der Jurist und die automatische Datenverwaltung« (so, dass der bevorwortende Herausgeber zitierend auf ebendiese einleitenden Passagen verweist):
Die Einführung automatischer Datenverarbeitung in die öffentliche Verwaltung hat begonnen. Einige kräftige Schritte sind getan, erste Erfahrungen liegen vor. Deutlich zeichnet sich bereits ab, daß es sich hierbei nicht um die Neuanschaffung zusätzlicher technischer Hilfsmittel für bestimmte Zwecke handelt, sondern um Anlagen, die sich technisch durch hohe Unbestimmtheit (Varietät) ihrer Verwendungsmöglichkeiten und wirtschaftlich durch hohe Kosten auszeichnen. Diese Eigenschaften scheinen — in Abhängigkeit voneinander — steigerungsfähig zu sein: Je unbestimmter, je offener und variabler die Einsatzmöglichkeiten sein sollen, desto höher steigen die Kosten. Diese Konstellation fordert dazu auf, solche Anlagen für verschiedene und wechselnde Zwecke einzusetzen. Dadurch geraten sie in ein problematisches Verhältnis zu den bisher üblichen Formen der Organisation und der Rationalisierung, ja vermutlich sogar zu den tragenden Denkmodellen dieses Gebietes, die von der Einzelhandlung her konzipiert und daher am Zweck/Mittel-Schema ausgerichtet sind. Die klassische Form der Abteilungsgliederung nach verschiedenen Aufgaben wird ebenso fragwürdig wie die hergebrachte Methode der Wirtschaftlichkeitsrechnung durch Vergleich verschiedener Mittel in bezug auf einen festliegenden Zweck. An ihre Stelle treten komplizierte Modelle des Kommunikationsflusses und der Systemplanung. So geht ein erfrischender Denkzwang von dem glücklichen Umstand aus, daß die Maschinen so teuer sind. Ihr Preis zwingt dazu, die Organisation der Datenverarbeitung auch außerhalb der eigentlichen Anlage in einem Maße zu rationalisieren, das ohne diesen Anstoß undurchführbar geblieben wäre.
Niklas Luhmann: Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung. Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung. [1966] 2., unveränd. Aufl. Berlin: Duncker & Humblot 1997 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 29), S. 9f.
Automation ist ein wichtiges Teilprogramm der Verwaltungsvereinfachung. Sie befreit uns zugleich von der Illusion, daß die Verwaltung durch Vereinfachung einfacher würde. Verwaltungsvereinfachung kann, will man die Leistung mindestens konstant halten, lediglich eine verwaltungsinterne Umschichtung und Verlagerung von Schwierigkeiten bedeuten. Die Vereinfachung einzelner Entscheidungsschritte wird durch Komplizierung der Systemstruktur und damit der Systemplanung erkauft. Man kann das tägliche Handeln durch Systemkomplizierung entlasten. Das ist eine allgemeine Regel, die im Falle der Automation nur ins Extrem getrieben und deshalb bewußt wird, weil hier die einzelnen Entscheidungsschritte, die dem Computer aufgetragen werden sollen, besonders radikal vereinfacht werden müssen. Der Komplexitätsgrad der Verwaltung insgesamt darf jedoch durch diese interne Problemverschiebung nicht gemindert werden, denn er ist durch die Umweltlage der Verwaltung bestimmt.
Anm.: es trägt nicht wenig zum gewiss nur höchsteigen zu münzenden Unterhaltungswert dieser Passagen – recht eigentlich des gesamten ersten Kapitels – bei, dass alles, was der Verwaltungsjurist Luhmann hier an Warnung für den eigenen – 1966 [!] beinahe schon ehemaligen – Berufsstand ausgibt, von diesem vollständig ignoriert wurde. Die Einladung zum »erfrischenden Denkzwang« nahmen die rechtswissenschaftlichen Disziplinen nicht einmal ansatzweise in der erforderlichen Kopfstärke an. Über ein halbes Jahrhundert später wird es nun zu spät gewesen sein und die Jurist:innen werden durch bloße Ignoranz (›ganz cool, die Gesetze schreiben immer noch wir‹ …) es geschafft haben, sich und ihre Bedeutung – das war das Monopol (und die Vergleichbarkeit mit den Bedeutung der Theologie dürfte unschwer herzustellen sein) – für Verwaltungen abzuschaffen. Informatiker:innen und Produktmanager:innen übernehmen, montieren ihre Black Box, schließen diese an die erforderlichen Netze an – und gehen … nein, nicht in die Lüftungspause (das haben Sie nicht mehr notwendig, die Vorgänger:innen an den Lochkarten haben schon genug gestanzt) … mit einem Mahlzeit! in die ungestörte Mittagspause. Die Juristerey hat ausgestanzt. (Dahingehend das erste Kapitel in Luhmanns Dissertation zu lesen, ist ein Höllenspaß.)
Luhmann weist in der Folge darauf hin, dass
die Programmierung der Maschine eine eingehende Analyse des Entscheidungsganges (nicht nur, aber auch: des Norminhaltes) erfordert, die den Juristen zu einer Besinnung auf seine eigene Entscheidungslogik zwingt. Entscheidet er weniger überlegt, weniger umsichtig, weniger rational als die Maschine? Und wenn er den gleichen Prinzipien folgt, kann er dann seine Überlegungsschritte ganz oder teilweise auf die Maschine übertragen? Gibt es verschiedene Arten von Rationalität, die der Maschine und die des Juristen? Haben beide in einem Verwaltungssystem die gleiche Funktion, so daß sie im Prinzip — von Fragen der Wirtschaftlichkeit einmal abgesehen — einander substituiert werden können? Oder sind ihre Funktionen, ihre Entscheidungsbeiträge verschiedenartig, und wenn so: sind sie widerspruchsvoll, so daß der Jurist der Maschine mißtrauen muß, oder komplementär?
Ibid., S. 13
Die Fragen haben sich alle von selbst beantwortet, die Entscheidungs- und Normkompetenz liegt nun a.a.O. & kehrt auch nicht mehr zurück. (Kein deus ex machina, kein Kaiser, noch Tribun wird ›uns‹ aus diesem Elend erlösen.)
Machina locuta, causa finita.