(Notizen:)
Gespenster der Vergangenheit und Zukunft: Ausgehend von der Arbeit an einem Essay zu Kapitel 69 des »Moby Dick« ist evident, dass ein Zusammenhang von Geistern und Zeichensystemen, die verschieden interpretiert werden, besteht. Eineinhalb Gedanken zu umgehenden Gespenstern aus dem Gestern und dem Morgen im Jetzt (mit angestiftet von einem Interview mit Joseph Vogl über die Vierte Gewalt Finanzwelt):
Gespenster erzählen etwas aus der Vergangenheit, stellen es damit in der Gegenwart nochmals als ungelöste Aufgabe. Eine wesentliche Funktion ist es somit, ein aktiv verdrängtes oder vergessenes Zeichen zu reiterieren. Damit werden Irritationen generiert, entstehen Rätsel, die nur unter Rückgriff auf Vergangenes in der nunmehr gegenwärtigen Situation eine Möglichkeit auf Lösung haben. Mehr als die Möglichkeit ist es nicht, gerade wenn das vorgestellte Zeichensystem in einem zumindest ersten Schritt nicht als aus vergangenen (auch Schuld-) Zusammenhängen rührend erkannt wird. Gespenster, insbesondere wiederkehrende, machen somit zwei Dinge deutlich: erstens dass nicht geklärt wurde, wofür sie einstehen; zweitens dass keine Dechiffrierung erfolgte. Nimmt man das, was einem als Rätselkomplex vorgestellt wird, nicht unter Bezugnahme auf ein Früher an, sondern decodiert es einfach als eine rein heutige Erscheinung, präsentisch ohne ursächlichen Begründungszusammenhang, ist die Fehlinterpretation gewiss.
Ökonomische und politische Gespenster haben die Angewohnheit, aus der Zukunft her zu kommen und von heute einzulösenden Handlungen zu berichten, um überhaupt schuldfrei in die Zukunft weiter gehen zu können. Erst wenn man sich ihren Oktroyierungen gefügt hat, geben sie, so das “Versprechen” aus der kommenden, einer dann neuen Zeit, Ruhe. Gespenster aus der Vergangenheit sind hingegen zumeist solche, die mit Handlungen im Wortsinn gekoppelt sind, mit schuldhaftem Verhalten, Verbrechen und Versäumnissen. Sie werden durch Taten ausgelöst und ihre Zeichensysteme bedürfen des Rückblicks. Die Trennlinie zwischen den Geistern und Gespenstern von Früher und denen von Morgen verläuft entlang des Grades der eigenen Handlung im Heute. Zukunftsgespenster haben ein anderes Regelsystem, dem man sich zu unterwerfen hat, als jene Vergangenheitsgespenster, die zunächst einmal die Feststellung ihrer präteritalen Verfasstheit einfordern. Davon ausgehend lässt sich eine interpretative Wiedergutmachung als präsentische Handlung ansetzen, die mitunter einfach darin bestehen kann, dass dem korrekt zuordnenden Erkennen ein Anerkennen an sich folgt.
Idee zur Etablierung des Begriffs Medialepse; um die Bedeutung des medialen Umsprungeffekts zu verdeutlichen. Dieser ist Medien inhärent.
Medialepse ausgehend von der métalepse narrative Genettes; allerdings hier im Sinne des Übersprungs von Annahmen der Nutzenden, die von einem medialen Fantasma ausgehend dessen Regeln auf ein anderes umlegen. Ein ›Problem‹ insofern, als zwei Systeme wie eins gesehen werden.
Mediales Fantasma?! Durchaus berücksichtigend die Etymologie von Geistern und Schatten her.
Gespenstererzählungen und ev. Austritte aus der Zeitlichkeit von Wahrnehmungsdispositiven respektive medialen Konfigurationen. Medialepse?
(Dann wäre »-erzählungen« anders zu formulieren; und Narrative etc. passte auch nicht.)
»Time Out of Joint«. (Philip K. Shakespeare Dick Hamlet. Hui!)
Was, wenn die von mir im dafür falschen Medium erzählten Dinge darauf zurückverweisen, dass ich selbst im ohnehin unpassenden mich befinde?
Medialepse und Gespenster. Zur Verschiebung von Missverständnissen …
Das Gespenstische an den Filmen der Lumières ist auch unser Wissen, dass alle hier zu Sehenden längst tot sind (cf. auch Barthes/Fotografie). Der Film ist das eigentliche Gespenstermedium. Er verändert die Medialität jeglicher künftiger Geistererzählungen grundlegend. Da die Nichtfilmenden ihre Geschichten von den Gespenstern weiter pflegen wollen, verlegen sie sich dann auf spiritistische Photoshop-Kurse.
Der Film, v.a. der Stummfilm, ist so das neue Gespensterhafte, gerade weil er die geisternden Bewegungen an sich nachzuzeichnen vermag.
Hinweis Gerold Paul: Die Illusion des als gespenstisch disparat erlebten Raums ist weitaus stärker als bei der Fotografie (cf. Rudolf Arnheim, Film als Kunst: 1932; stw1553): Wörtlich sagt Arnheim z. B., »dass der Film […] die Möglichkeit hat, räumlich und zeitlich Disparates unmittelbar nebeneinander zu stellen. […] An sich müsste beim Anblick einer montierten Filmszene den Zuschauer Unbehagen, ja Seekrankheit überlaufen.«
Dem Film eignet etwas Gespensterhaftes, er ist bis zu den Social Media das bis dahin eigentliche Medium der Fantasmen. Der Tonfilm bringt als Prototyp für Medienverbundsysteme eine Änderung medialer Spielregeln mit sich. Wahrnehmungskanäle werden verschaltet. Der Film kann die Illusion von Gleichzeitigkeit so gut vortragen, dass die damit kaschierten Wahrnehmungsfalten verborgen bleiben können. Die nicht zur Restlosigkeit erkannte Disparatheit des Wahrnehmungsdispositivs bleibt unterschwellig bestehen. Hierin bergen sich Gespenster.