Wie man aus der Maschine heraushört, so lauscht man in die Maschine zurück.
Als Friedrich Kittler 1982 seinen Aufsatz »Dracula Vermächtnis« an Dieter Hombach einreicht (für den Sammelband ZETA 02. Mit Lacan, Berlin: Rotation 1982), legt er sehr viel Wert auf die Abbildung einer weiblichen Schreibkraft – ihre Talking Machine (von Edison) abhörend und das Diktat (?) in den Typewriter tippend, das Gesagte-Gehörte am Papier linearisierend; die neue Angestellte: technisch versiert, schnell und das Wort des HErrn setzend – und will die unbedingt, auch wenn es darum ginge, »eine Xerokopie« einzukleben, reproduziert haben. Die Abbildung hat er, im Apparat der Herausgeberinnen Luisa Drews und Eva Horn (von Werkausgabe I.B.4 bei Merve, 2021) kann man es nachlesen, damals auch durchgesetzt (was im 1993er Nachdruck durch Reclam Leipzig nicht mehr der Fall war).
Entnommen haben dürfte er (während der Abfassung des Aufsatzes hatte er in Berkley zu tun) dieses Bild einer englischen Publikation: Viktor Kenneth Chew: Talking Machines 1877–1914. Some aspects of the early history of the gramophone. London: Her Majety’s Stationery Office 1972. (gut 80 Seiten, ein Band des Science Museum, der mehrere Auflagen erfuhr; Kittler Augenschatz findet sich in der EA auf S. 27, in der 2. Auflage von 1981 – die hätte er theoretisch auch noch sehen können, bevor er seinen Aufsatz abfasste – auf S. 26) Die Darstellung wird dort zusammen mit zwei weiteren gebracht, die Bildunterschrift lautet: »Advertisers visualize the talking machine in the office, in the Concept Hall and in the home«.
Die Kontraste auf dieser Seite sind bemerkenswert: oben die zwischen zwei Apparate gespannte Horch- und Tippkraft, darunter volles Haus beim Anhören einer akustischen Darbietung via Grammophon, zuunterst ein offensichtlich sich mit Alkohol und seinem Graphophone (links im Bild: der Vorrat an weiteren Walzen) im Hausmantel vergnügender Mann, wohl wohlhabend. (Es könnte auch ein aufgelöster Pfarrer in seiner Soutane sein, aber wir sind ja in England.)
Kittler interessiert sich nur für die Frau, die der Maschine ganz ihr Ohr leiht, deren Schalltrichter ganz und gar over ear sich ihr stülpt, als würde realiter angedockt. Er sieht wohl (im Text, diesem Frauenlob eines elektronischen Typewriters in Kalifornien, wird das nicht kommentiert) Mina Harker, die in Dracula wesentlich daran beteiligt ist, durch ihre bürokratisch-administrativen Kulturtechniken – verakten, linearisieren, ordnen, zeitlich strukturieren, Zusammenhänge herstellen, tippen, Vereinheitlichung aller Quellen (so auch der Wachswalzen eines aufgesprochenen »Tagebuchs«), Beherrschung der Maschinen; téchne, mēchanḗ und epistéme zusammenführend, umkopieren aller Quellen und Dokumente und deren jeweiliger medialer Erscheinungsweisen in Typoskripte, die korrekten Adressierungen und das Einknüpfen der rekursiven Schleifen (»Stokers Dracula ist gar kein Vampyrroman, sondern das Sachbuch unserer Bürokratisierung«, stellt Kittler sachlich viel genauer noch als rhetorisch zu formulieren getrachtet fest) – der sonst recht männerbündlerischen Verschwörung die entscheidenden Hinweise zu geben. Soweit alles klar. Aber.
Mina Harker ist nicht nur die, die alles zusammenführt (wie eine gelehrige Leserin von Bram StokersThe Duties of Clerks of Petty Sessions in Ireland [Dublin 1879]; 2. Aufl. 1897, als beinahe zeitgleich Dracula ersterscheint) und sich freiwillig als Schnittstelle, als Interface, andient. Sie wird nicht nur von ihrem Mann Jonathan, sondern auch von »Dracula« begehrt, gebissen, gelocht, sie leckt und saugt sein Blut von ihm und wird zum Inter-Medium (offen bleibt, wie sehr sie recht eigentlich von ihm perforiert werden will, während sie nun mit den Typen ihrer Maschine Papier perforiert, auf dass er Kehlschnitt und Herzstich bekomme, zu Staub werde). Diese neue Verbindung, drahtlos, ermöglicht es den Verfolgern, indem sie Minas Visionen abhören, dem lauschen was sie ›sieht‹, Rückschlüsse auf den jeweiligen Aufenthaltsort ihrer Beute zu ziehen.
Mina Harker hört nicht nur an Material aus dem Apparat heraus (Diktat-Gruppe 1), was nach Eingabe in die Schreib-Maschine und geordnet überhaupt erst die Möglichkeit einer erfolgreichen Jagd auf Dracula eröffnet. Sie hört während der Jagd auch den leidlich leiblich erregt eröffneten Verbindungskanal zu Dracula ab (Diktat-Gruppe 2), berichtet davon.
So wie sie – die perfekte neue Angestellte – Es aus dem einen Apparat heraushört und in die andere Maschine hineinschreibt – übersetzt und überträgt –, auf’s Papier setzt und alles, auch die Parallelitäten, in einen Ablauf kopiert, so hört sie mit den Gaben aus der nächtlichen Labung am Blut gebenedeit umgekehrt auch in die Apparatur hinein (und Dracula ist nun einmal auch Geheimdienst, ist ein alter Verwaltungsapparat, der noch locht und Akten ablegt, während die Tabelliermaschinen Holleriths den Verwaltungsspezialisten Stoker und Kafka schon elektronisch motiviert den Rhythmus stechen: Dracula ist eine Maschine, die von Hand betrieben wird; Mina läuft mit Strom – und ihre jüngeren Schwestern an den neuen Maschinen gönnen sich ab und an eine Lüftungspause), folgt der medial gezogenen Blutspur von Draculas zu zaghaft ausgefallenen Stanzungen.
Wie sie’s aus der Maschine heraushört, so lauscht sie’s in die Maschine zurück.
(Und währenddessen entsteht da am Papier, das aus der anderen Maschine herauskommt, der Vampyrroman als Sachbuch unserer aller Bürokratisierung, der über die Vision der neuen Angestellten – Schnittstelle/Interface – wieder in die Maschine, in die Bürokratisierung zurückführt. Das schreibt Kittler nicht mehr, aber das ausgewählte Bild führt uns genau das vor Augen.)