Was Nietzsche schrieb:
Sind das noch Menschen, fragt man sich dann, oder vielleicht nur Denk-, Schreib- und Redemaschinen?
Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen. In: Kritische Studienausgabe Bd. 1, S. 282
Was Kittler 110 Jahre später lesen wollte (Einsichtsbemerkung: im folgenden Absatz von GFT wird es um Turings »Imitation Game« gehen, 250 Seiten später wird Nietzsche korrekt zitiert…) und tippte (bis heute erkennt man einen braven Kittler-Jungen an diesem dann auch genau so übernommenen »Zitat« aus der Turing-Galaxis):
»Sind das noch Menschen, fragt sich« 1874 schon Nietzsche, acht Jahre bevor er eine Schreibmaschine kauft, »oder vielleicht nur Denk-, Schreib- und Rechenmaschinen?«
Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter. Berlin 1986, S. 30
Ohne (Lese-) Tippfehler wird es nicht gehen:
LEG ICH MICH AUS SO LEG ICH MICH HINEIN
Friedrich Nietzsche, 12.2.1882
SO MOEG EIN FREUD MEIN INTERPRETE SEIN.
Ob FREUD oder FREUND – die Schreibmaschinenarbeit für die Druckfassung kennt dann weder den einen (der es nicht gewesen sein kann, aber so tippen wir Freudianer und Medienwissenschafter, die nicht mehr hinter Freud zurückfallen können, an diesem Nietzsche-Vers und seinen Interpretationen fleißig weiter mit) noch den anderen, sie kennt nur noch: ICH:
LEG ICH MICH AUS, SO LEG ICH MICH HINEIN –
Friedrich Nietzsche, 21.2.1882
ICH KANN NICHT SELBST MEIN INTERPRETE SEIN.
»It is a curious thing,« remarked Holmes, »that a typewriter has really quite as much individuality as a man’s handwriting. Unless they are quite new, no two of them write exactly alike. Some letters get more worn than others, and some wear only on one side. Now, you remark in this note of yours, Mr. Windibank, that in every case there is some little slurring over of the ›e,‹ and a slight defect in the tail of the ›r.‹ There are fourteen other characteristics, but those are the more obvious.«
Arthur Conan Doyle: A Case of Identity (1891)
»We do all our correspondence with this machine at the office, and no doubt it is a little worn,« our visitor answered, glancing keenly at Holmes with his bright little eyes.
»And now I will show you what is really a very interesting study, Mr. Windibank,« Holmes continued. »I think of writing another little monograph some of these days on the typewriter and its relation to crime. It is a subject to which I have devoted some little attention. I have here four letters which purport to come from the missing man. They are all typewritten. In each case, not only are the ›e’s‹ slurred and the ›r’s‹ tailless, but you will observe, if you care to use my magnifying lens, that the fourteen other characteristics to which I have alluded are there as well.«
Wer Dichtung will, muß auch die Schreibmaschine wollen.
Arno Schmidt: Zettel’s Traum. BA IV.1, S. 22 – Typoskript:
LIEBER FREUND […] SEBASTIAN BRANT KENE ICH NICHT. SIE HABEN RECHT –UNSER SCHREIBZEUG ARBEITET MIT AN UNSEREN GED[A|M]KEN.WANN WERDE ICH ES UEBER MEINE FINGER B[R|I]NGEN, EINEN LANGEN SATZ ZU DRUCKEN!
Friedrich Nietzsche, Ende Februar (28.2.?) 1882, Brief an Johann Heinrich Köselitz [aka Peter Gast], aus Genua nach Venedig.
[…]
Teufel! Können Sie das auch l e s e n ?!
Alle Ausführungen sind in lesbarer Schrift abzufassen. Längere Niederschriften haben möglichst mit Schreibmaschine zu erfolgen.
Kanzleiordnung für die österreichischen Bundesministerien, entsprechend dem Beschluss des Ministerrats vom 18.7.1923, Abschnitt II: Formale Behandlung der Geschäftsstücke durch den Bearbeiter, A: Allgemeine Richtlinien, (3)
Wenn die Schreibmaschine auch weitgehend zu den bekannten Formen des gleichgeschalteten Spezialistentums unter Aufteilung in der Kultur des Buchdrucks beigetragen hat, führte sie auch zu einer Integration von Funktionen und zur Schaffung starker persönlicher Unabhängigkeit. […] Er war schließlich so sehr mit dem Klang seiner Schreibmaschine verbunden, daß Henry James auf dem Totenbett nach seiner Remington verlangte und bat, man solle in seiner Nähe auf der Maschine schreiben. […] An der Schreibmaschine hat der Dichter auf sehr ähnliche Weise wie der Jazzmusiker das Erlebnis des Darbietens in Form des Komponierens. In Nicht-Alphabetenkulturen befanden sich Barden und Spielleute in dieser Lage. […] Weil er selber Publikum für seine eigenen mechanischen Mutproben ist, reagiert [der Dichter] pausenlos auf seine eigenen Darbietungen. Dichten an der Schreibmaschine ist wie Drachen steigen lassen.
Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle, 1964/1968
[D]eshalb fühle ich mich auch in allen Bureausachen so zur Schreibmaschine hingezogen, weil ihre Arbeit, gar durch die Hand des Schreibmaschinisten ausgeführt, so anonym ist.
Kafka an Bauer, »vom 20. zum 21.XII. [19]12«; bereits im November d.J. hatte er ihr geschrieben: »Ich bin glücklich (falls ich in Ausnahmefällen nicht selbst auf der Maschine schreibe), einem lebendigen Menschen diktieren zu können (das ist meine Hauptarbeit)«
Die Minnesänger sitzen jetzt an der Schreibmaschine
Benn an Oelze, 22.8.1948 (cit. nach M. Rohrwasser)
Die Schreibmaschine
Christian Morgenstern: Die Schreibmaschine. In: der.: Werke und Briefe, Band 3: Humoristische Lyrik. Stuttgart 1990, S. 255
Korf erfindet eine Schreibmaschine,
die, daß sie gewählten Zwecken diene,
nicht mit Farben schreibt, vielmehr mit Feuer
und auf Wolkenfetzen ungeheuer.
Sitzt er mitternächtlich an den Tasten,
glaubt man an ein meteorisch Glasten.
Doch es ist ein neu Poem, von Korfen
in den Raum zu kurzer Schau geworfen.
Massenweise strömt man zur Lektüre,
späht aus Speicherguck und Dachfalltüre,
und in blitzesschnellen Arabesken
liest man Korfs gigantische Grotesken.
Auf dem Söller seines Hauses kauernd
und auf Cumulus und Stratus lauernd
harrt er halbe Nächte, fabelnd, grübelnd,
und dem Raum sein blankes Blau verübelnd.
Nahen endlich wieder Wolkenlasten,
stürzt er sich gewaltig auf die Tasten;
und empor auf feurigen Kothurnen
funkeln Korfs phantastische Notturnen.
Ich muss versuchen, weniger zu protzen. Haben Sie eine Maschine, lieber Herr Morgenstern, die einen jedesmal auf den Federhalter klopft, sobald man versucht ist, künstlerisch unanständig zu werden?
Robert Walser an Christian Morgenstern, 18. Jänner 1907
Robert Musil erwarb im Dezember 1923 seine erste Schreibmaschine. Den »Underwood Standard Portable Typewriter«. Davor nutzte er Heeresgerät. Wie auch immer: Den Übergang vom Klopfgeist zum Morsecode über die Schreibmaschine in den Algorithmus eines Be-Bop-A-Lula kann man sich fließend vorstellen.
In der Schreib-maschine liegt der Einbruch des Mechanismus in den Bereich des Wortes. […] Doch zunächst bringt der Buchdruck und dann die Maschinenschrift Vor-teile und Erleichterungen. […] Die Schreib-maschine verhüllt das Wesen des Schreibens und der Schrift. Sie entzieht dem Menschen den Wesensrang der Hand, ohne daß der Mensch diesen Entzug gebührend erfährt und erkennt, daß sich hier bereits ein Wandel des Bezugs des Seins zum Wesen des Menschen ereignet hat. […] Die Schreibmaschine wurde zum Diskursmaschinengewehr. Was nicht umsonst Anschlag heißt, läuft in automatisierten und diskreten Schritten wie die Munitionszufuhr bei Revolver und MG oder der Zelluloidtransport beim Film.
Friedrich Kittler, Grammophon Film Typewriter, 1986
Grammophon, Marschmusik, Typewriter:
Ich weiß von einem Industriewerk, das die Mädchen mit einem Gehalt vom Lyzeum wegengagiert und sie durch einen eigenen Lehrer auf der Schreibmaschine ausbilden läßt. Der schlaue Lehrer kurbelt ein Grammophon an, nach dessen Klängen die Schülerinnen tippen müssen. Wenn lustige Militärmärsche ertönen, marschiert sich’s noch einmal so leicht. Allmählich wird die Umlaufgeschwindigkeit der Platte erhöht, und ohne daß es die Mädchen recht merken, klappern sie immer rascher. Sie werden in den Ausbildungsjahren zu Schnellschreiberinnen, die Musik hat das billig entlohnte Wunder bewirkt.
Siegfried Kracauer: Kurze Lüftungspause. In: Ders.: Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971, S. 26–34, hier S. 30.
Schreibkugel ist ein Ding gleich mir : von Eisen
und doch leicht zu verdrehn zumal auf Reisen.
Geduld und Takt muss reichlich man besitzen
und feine Fingerchen, uns [!] zu benuetzen.
Friedrich Nietzsche, [Malling-Hansen-Gedicht], März 1882
Seit kurzem nenne ich eine Schreibmaschine mein eigen. Ich habe zuvor noch nie eine Maschine besessen. […] Von dem ersten Augenblick an liebte ich die Maschine ihrer Vollkommenheit wegen. Sie ist graziös gebaut, federleicht und blitzt im Dunkeln. Das Gestänge, das die Typen trägt, hat die Schlankheit von Flamingobeinen. […] In ihrer Vollkommenheit erschien sie mir ein höheres Wesen, das durch Mißbrauch nicht geschändet werden durfte. Nur verlegen liebkoste ich – damals in den Anfängen unserer Beziehung – ihre kühlen Teile. […] Der Umgang mit ihr veredelte mich. Hatte ich früher mit dem Geschriebenen etwas ausdrücken wollen, so lernte ich nun begreifen, daß allein die Tätigkeit des Schreibens selbst erstrebenswert sei. […] Zum Lohn für das zwecklose Tun, das in zartsinniger Weise der Vollkommenheit des Maschinchens huldigte, war es immer zu meinem Empfang bereit. Es galt mir bald mehr als eine Frau oder Freunde. […] Selige Stunden verbrachten wir in der Dämmerung, wenn ich die Tasten nicht mehr recht sah. Ich phantasierte dann, wie die Empfindung mich trieb, und herrliche Gebilde aus Zeichen sprangen hervor. Festfahnen gleich flatterten sie über den hellen Gründen. Immer seltener suchten die Menschen uns auf. Sie verstanden die Schriftfiguren nicht und schüttelten bedenklich die Köpfe. Zuletzt blieben sie aus. Ich bedurfte ihrer nicht; vor mich hinzuklimpern war mir genug. Oft gingen die Tasten von selber weiter, so unzertrennlich verbunden war das Maschinchen mit mir.
Siegfried Kracauer: Das Schreibmaschinchen. In: Ders.: Schriften. Hg. v. Inka Mülder-Bach. Bd. 5/2: Aufsätze 1927–1931. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1990, S. 48-52, hier S. 48f.
Eine Störung tritt auf, die Taste mit dem accent grave muss repariert werden. Der Mechaniker tippt zur Kontrolle »ma chère«. Ein Bruch, die amour fou mit dieser Maschine endet, der Verfasser wird ›vernünftig‹:
Das Maschinchen war in Ordnung; die Maschine war repariert. Ein fremder Mann kam ihr brutal, und sogleich war sie ihm zu Gefallen. Daß ich mit der Aufbietung meiner Kräfte mich um sie gesorgt hatte, bedeutete ihr nichts. Meine Liebe zu der Maschine erlosch. Sie war nur eine von vielen, die alle künstlich hergestellt wurden und nach Bedarf ausgebessert werden mochten. […] Ihr nachzutrauern verlohnte sich nicht. Es gibt Fabriken und Läden, in- und aus- ländische Marken stehen zur Wahl. Ich gehe wieder unter Menschen und suche bescheidene Freuden im Verkehr mit den Frauen. Das Geschriebene besteht aus Korrespondenzen, Rechnungen und Betrachtungen gefälliger Art. Meine Freunde sind zufrieden mit mir, weil sie die Schriftstücke verstehen.
Kracauer, Das Schreibmaschinchen (s.o.), S. 52
Nochmals Nietzsche, nochmals vom 12. März 1882, bevor er die »Freud«-Zeilen tippt (s.o.):
Friedrich Nietzsche, 12. März 1882
MELSDNNDRGILSTHCZMQQNMJY
EDSLCHMNGRQNGRDELSO
ELSDNM
Geist, Phantasie, Einfall: alles recht gut. Aber wichtiger ist die Schreibmaschine. Mit ihrer Hilfe geht alles Dichten zwanzigmal so schön. Bleistift und Feder sind totes Material. Es genügt leider nicht, sie in die Hand zu nehmen und übers Papier laufen zu lassen, damit sie schreiben. Man muß sie zu Lettern und Worten zwingen. Das ist mühevoll und belädt mit Verantwortung.
Alfred Polgar, Die Schreibmaschine. In: Ders.: Kleine Schriften, Bd. 4. Hg. v. Marcel Reich-Rancki u. Ulrich Weinzierl. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1984, S. 246-248, hier S. 246.
Die Schreibmaschine hingegen kann gar nicht anders als schreiben, das ist ihr Mutterlaut, ihre einzige und natürliche Expression. Du phantasierst mit den zehn Fingern über die Tastatur, und wenn du ein bißchen Glück hast, ist eine moderne Dichtung mit vier Durchschlägen fertig.
In Bram Stokers »Dracula«, diesem Medien- und Büroroman, weiß Mina Harker, vormals Murray, sehr genau um ihre Möglichkeiten, d.h. Pflichten, Bescheid:
I shall be prepared. I shall get my typewriter this very hour and begin transcribing. Then we shall be ready for other eyes if required. (Chap. 14)
Mit der Maschine schreiben: nichts wird zur Spur: es existiert nicht, und wird dann plötzlich zu einer Eintragung: keine Produktion: keine Annäherung; es gibt kein Entstehen des Buchstabens, sondern nur das Ausstoßen eines Stückchens Code.
Roland Barthes: Tippfehler. In: Der.: Über mich selbst (1975). Übers. v. Jürgen Hoch. München: Matthes & Seitz 1978, S. 106
☞ cf. AZERT
☞ cf. QWERTY
☞ cf. Schreibmaschinen eines »Schlosses«
☞ cf. Typewriter der Entropie