Die Moderne aber begann mit Napoleon. An Stelle reitender Boten trat ab 1794 ein optischer Telegraf, der Frankreichs Heere mit geheimen Codes fernsteuerte. An Stelle von Gesetzen und Vorrechten, die aus alten Zeiten weiter galten, trat 1806 der Code Napoléon aus einem Guss. 1838 soll Samuel Morse eine Druckerei New Yorks besichtigt haben, um […] dem Setzerkasten abzulernen, welche Buchstaben am häufigsten auftreten, sich also auch am kürzesten in Morsezeichen senden lassen müssen. Zum ersten Mal war eine Schrift nach technischen Kriterien, also ohne Rücksicht auf Semantik, optimiert, hieß aber dennoch noch nicht Morsecode. Das taten erst gewisse Bücher, sogenannte Universal Code Condensers, die für den verkabelten Weltverkehr vereinbarte Wörtersammlungen zur Abkürzung und d.h. Verbilligung von Telegrammen anboten, den vom Sender eingegebenen Klartext also noch ein zweites Mal verschlüsselten. Seitdem heißt es decodieren und codieren, wo einstmals dechiffrieren und chiffrieren stand. Aller Code, den Computer heutzutage verarbeiten, untersteht daher dem Kolmogorow-Maß: Schlecht ist Input, der selber länger als sein Output ist; bei weißem Rauschen sind die beiden gleich lang; elegant heißt schließlich der Code, dessen Output sehr viel länger als er selbst ist. Aus einer hoch kapitalistischen Geldeinsparung namens »Code Condenser« hat das 20. Jahrhundert also höchste mathematische Stringenz gemacht.
Friedrich Kittler: Code oder wie sich etwas anders schreiben lässt. [2002] In: Reader Neue Medien. Texte zur digitalen Kultur und Kommunikation. Hg. v. Karin Bruns u. Ramón Reichert. Bielefeld: Transcript 2015, S. 88–95, hier S. 91f.