Paul Barans unendliche Netze

Weil die Verständigungsprobleme von Netzwerken, Computern, Maschinen, Rechnern als diplomatische Entscheidungsprobleme verstanden wurden, die es zu lösen galt, nannten »Computerfachleute […] die Instrumente, mit denen sich delikate kommunikative Aufgaben formalisieren ließen, ›Protokolle‹.« (Gugerli 2018, 148) [☞ *] Was nun Netzwerke (s.u. die Querverweise), die Theorien davon, Protokolle (vgl. dazu, Stand heute, u.a. 12345678) und Verbindungssicherheiten nebst den Zeremoniellen und der reglementierten Hofhaltung im Zeichen von Durabilität, Resistenz und Wahrheitsregimen aneinander streifen lässt:

Während Gremien ihre Protokolle ganz im etymologischen Wortsinn »vor die Akten eines Vorgangs klebten« und damit deklarierten, wie die Akten dahinter zu lesen waren, legten diplomatische Protokolle fest, was bei der Begegnung von Machthabern geschah. Daran hielten sich auch jene Protokolle, die dem Austausch von Daten zwischen Rechnern oder Programmen dienen: Sie bestimmten, was bei dieser Verbindung passieren durfte. Sie taten dies mit der ganzen Erhabenheit und prozeduralen Komplexität, die jedem Protokoll innewohnt. Die Frage nach dem Unterschied zwischen Rechenzentrum und Machtzentrum durfte dabei offenbleiben. Explizit galt die Analogie nur hinsichtlich der Tatsache, dass Protokolle vereinbart werden müssen, gleich ob sie den kommunikativen Austausch zwischen Machthabern oder zwischen Rechnern sichern sollen.

Gugerli 2018, 149f.

Gugerli (s. auch hier) arbeitet die Bedeutung und Differenzierung von (insbesondere technischen) »Protokollen« und insgesamt, Wie die Welt in den Computer kam, sehr klar heraus (Gugerli 2018, insb. 136–191 das Kap. »Verbinden, Abgrenzen und Speichern«); jedoch scheint er die Bedeutung der Grundidee der später als ›ARPA-Netzwerke‹ bekannt gewordenen dezentralen Rechner-Verbindungen als lokal basiert und weniger übergreifend gedacht einzuschätzen. Als wäre das quasi zufällig entstanden, als man es halt irgendwie größer wollte. Demgegenüber ist mit u.a. Barabási 2002 (insb. 143 ff. das Kap. »The Awakening Internet«) und der Darstellung dessen, was eigentlich (und was davor) geschah, als die Funktionsweise des heutigen ›Internets‹ erstmals auf dem Papier stand, durchaus eine Entscheidungsmacht (wobei ›militärisch-industrieller Komplex‹ es zu nennen eine Spur zu unterkomplex es geraten ließe; hier sind wie in der Mathematischen Informationstheorie Claude E. Shannons mehr Bälle in der Luft als man meinen möchte) als zentral (so sehr es um dezentrale Netzwerk-Strukturen geht) herauszustellen und auch die Wirkmächtigkeit der Grundidee frappiert in der Arbeit Barabásis unmittelbarer:

1964 ff. wurden von Paul Baran (bei der nicht der Heilsarmee-Unterstützung verdächtigen RAND Corp.) die Differenzierungen von zentralisierten, dezentralisierten und verteilten Netzwerken geleistet und ihre jeweiligen Resilienzfähigkeiten durchgerechnet, noch bevor – im Auftrag Eisenhowers und als Antwort auf den Sputnik-Schock – die Advanced Research Project Agency (ARPA) sich Gedanken über die die optimale Verteilung nuklearer Verteidigungs- und Kommunikations- (d.h. Entscheidungs-) Anlagen, d.h. Fähigkeiten im unmittelbaren Interesse des militärisch-industriellen Komplexes und seiner späterhin ›nationalen Sicherheit‹, machte und zu Ergebnissen kam und ihr Optimum durchsetzte. Barans Lösungsvorschläge wurden von AT&T (mit deren Kommunikations-Monopol) – wo man der Ansicht war, dass diese Lösung an die bislang gepflegten Existenzgrundlagen, an die Substanz, die Gewinne und die Macht des Unternehmens gehen würde – so lange erfolgreich bekämpft, bis ARPA umfassend die nukleare Widerstands- und Zweitschlagfähigkeit der USA in den Mittelpunkt nationaler Interessenslagen zu rücken verstand. Die Vorstellung der robusten Aufrechterhaltung von Kommunikations- und damit Handlungsräumen, [☞ 1] die Idee der Schaffung von (v.a. militärischer) Resilienzfähigkeit durch Redundanz – redundante Systeme als Sicherung –, wie sie in Barans Arbeit »On Distributed Networks« (eine elfteilige Serie von Forschungs-Memoranden) über Netzwerke und mit dem Vorschlag der Paket- bzw. blockweisen Vermittlung versprochen wurde, sollten nun bald Internet-Protokolle mit ihrer konstanten Abarbeitung von Routinen gewährleisten. Die Kommunikationspunkte wurden verteilt, die Inhalte segmentiert und nach der jeweiligen Übermittlung wieder verbunden (technische Redundanz ist gewährleistet, während die Protokolle durch Lastenverteilung die Funktionsfähigkeit ermöglichen).


☞ *: Libralop Hulot spitzte diesen Punkt ganz richtig in einer elektronisch übermittelten Nachricht zu, in der er mich darauf hinwies, dass diese Protokolle »nicht nur Ergebnissicherung zwischen diplomatisch Gleichgestellten« sind, sondern das Verhältnis von Master/Slave und Client/Server, das über Protokolle als ausgehandelt gelten mag, ein asymmetrisches ist (Alt-Hegelianer:innen werden an Herr und Knecht denken, wenngleich das Verhältnis im hier angesprochenen Feld kein umkehrbares ist). Siehe dazu auch Krajewski 2010.

☞ 1: Sobald alles verteilt ist, wirkt es so, als könnte nichts mehr passieren: »A malfunctioning router will automatically prompt Internet protocols to bypass the missing node by sending packets to other routers.« (Barabási 2002, 120) Nur: es ist ständig etwas zu verteilen und irgendjemand ist dafür zuständig. »The Internet is a network of routers that communicate with each other through protocols envisioned by Paul Baran and made possible thanks to ARPA’s deep pockets. Ironically, the principles directing today’s Internet match Baran’s original vision in every respect except the guiding principle that motivated his work: undercutting vulnerability to attacks. Baran’s distributed highwaylike network could have become a reality only if the Internet had continued to be regulated and maintained by the military.« (Barabási 2002, 147)

Barabási, Albert-László (2002): Linked. The New Science of Networks. Cambridge/Ma.: Perseus Publishing.
Gugerli, David (2018): Wie die Welt in den Computer kam. Zur Entstehung digitaler Wirklichkeit. Frankfurt am Main: S. Fischer.
Krajewski, Markus (2010): Der Diener. Mediengeschichte einer Figur zwischen König und Klient. Frankfurt am Main: Fischer.


Querverweis 1: Heißer Draht 1833

Querverweis 2: Karinthys Kleine Weltkneipe

Querverweis 2.a: Frigyes Karinthy: Kettenglieder