Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sind Geschäfts- und Kanzleiordnung nicht getrennt (Amtsinstruction 1855, The Duties of Clerks […] 1879 als Beispiele), werden Pflichten wie Rechte der Verwaltungsbediensteten mit dem Reglement, wie Geschäftsstücke zu erstellen, bearbeiten und speichern sind, in eins gefasst. Dass die Vorschriften für das Personal und die Anleitung, wie ein Akt zu prozessieren sei, fortan separiert werden, ist zumindest ebenso bemerkenswert wie die Zeitumstände. Die Trennung der beiden amtlichen Regelschriften – damit einhergehend ein sich änderndes Verständnis von ›Amt‹ – erfolgt etwa zeitgleich mit der Umkehrung von Disassembly Lines auf Walfängern und in Schlachthöfen zu Assembly Lines in Automobilfabriken (Fließbändern der Produktion). Der möglicherweise allzu willkürlich erscheinenden Engführung dieser beiden Entwicklungen gesellt sich die Beobachtung hinzu, dass justament zeitgleich die Behauptung, dass privatwirtschaftliche Verwaltungen erheblich schneller (der Tempo-Diskurs!) und deshalb günstiger wären (im Vergleich zu den staatlichen) priorisiert wird (die diesbezügliche Argumentation ist bis heute unterkomplex, pars pro toto: hinsichtlich der Verantwortungs- und Transparenzfrage, dessen ungeachtet erfolgreich).
So wie das in diesen Zeiträumen startende Gewerbe der Unternehmensberatungen zu reüssieren beginnt, der Erste Weltkrieg alternative Organisations- und Kommunikationsmodelle nahelegt (militärische Maßnahmen und Entscheidungsfindungen gegenüber Normierungen gestärkt werden), die Entwicklung von Verarbeitungsmedien durch Verschaltung und Elektrifizierung derselben in Medienverbundsysteme Bedeutung erlangt, die zweibeinigen Rechner als zu langsam für die rechtzeitige Berechnung von ballistischen Abwehrmaßnahmen empfunden werden, so wird auch der neoliberale Grundzug des Antietatismus Nahrung dadurch erhalten, dass die staatlichen Verwaltungen den nunmehr andernorts gemachten Versprechen der Effizienz und des Tempogewinns, der Kostenreduktion und der Entscheidungsgeschwindigkeit nachschreiben müssen (der Völkerbund wird mit einschlägigen Ansichten zu notwendigen Einschnitten, seiner Austeritätspolitik, nicht nur in der Wirtschaftskammer am Stubenring 1–10, sondern auch in den österreichischen Zentralstellen der Ersten Republik Anhänger finden). Die Auf-Trennung von Personal, Geschäftstätigkeit, Reglements, Verfahrensvorschriften, Hierarchiezuweisungen etc. bedarf natürlich ebenso für Sequenzialisierung und Segmentierung ihrer Vorgaben, nur werden die Verantwortungen dafür aufgelöst. Dass Staaten und ihre Verwaltungen dies nicht können, weil sie es nicht dürfen, wird ihnen zum Vorwurf gemacht.
Dass die Verhaltenslehre des Amtes, die Vor-Schrift des bürokratischen Disziplinarregimes (das Dienstrecht), von der Verfahrenslehre des Aktes getrennt wird, sohin auch dass die eine gesetzlich zu regeln ist (durch die politische Seite), die andere zu erlassen sein wird (aus der Verwaltung heraus verfasst, um dann a priori rechtlich abgesichert Geltung zu haben – siehe etwa § 12 der Bundesministeriengesetze ab 1973 und auch hier), lässt sich feststellen. Die These, weshalb es dazu kommt, stellt auf Herrschaftstechniken ab; das ausgegebene Narrativ von ›Produktionsnotwendigkeiten‹ bei der Sequenzierung und Segmentierung kommt diesen zupass.
Wenn Henry Ford die Produktionskette der Walfänger und Schlachthöfe (Verwertung von Tierleibern zu Rohstoffen und Nahrung; diese werden im Wortsinn an die Nahrungskette gehängt) umkehrt und Automobile an Fließbändern montieren lässt (während Eadweard Muybridge entsprechende Verfahren auf die Fotografie anwendet, um Arbeitsabläufe optimieren zu helfen, indem Störungen in der Fließbewegung erkannt werden können, die sich sodann beheben lassen), wenn Frederick Taylor das Hohe Lied der maßgeschneiderten Arbeitsabläufe und Prozesssteuerungsprinzipien singt, sogar in der Straßenbahn vermittels der Wiener Lochung Sekundenbruchteile bei der Fahrkartenstanzung gewonnen werden wollen, Frank Bunker Gilbraith wie ein »Engel der Effizienz« über das gleich mit erfundene Gewerbe der Unternehmensberatung kommt – gibt es ebensolche Phänomene (und in nicht geringem Ausmaß bereits zuvor) in der Verwaltung zu beobachten. Dass Aktenordner und Locher im Geiste einer neuen Verfahrensordnung von Friedrich Soennecken zusammen erfunden werden mussten (zuvor hatte Joseph-Marie Jacquard den Dampf in die damit industrialisierbaren Webstücke gebracht und späterhin wird Herman Hollerith Löcher in Karten machen, alle und alles zu erfassen), ist nicht allein sinnbildlich logisch. Es ist zu ordnen, zu segmentieren, zu stanzen, zu sequenzieren … Pattern-Recognition und geregelte Montage wie Demontage findet nicht nur für Nahrungsketten und Fließbänder statt, sondern auch bei Aktenläufen. Was Fordismus und Taylorismus leisten, bedeutet auch, Produktionsabläufe und Personalfragen zu trennen. (Im Zusammenhang mit den neuen Verfahrensregeln gibt es auch eine erhebliche Steigerung des Anteils von Frauen in den hier betroffenen Produktionen, was im Zuge des Ersten Weltkriegs und danach unübersehbar wird. Stichwort: Lüftungspause; jetzt auch in Büros.) Nicht anders war es, kausal betrachtet, mit der Trennung amtlicher Verhaltenslehre von der veraltender Verfahrenslehre: Deshalb wird für das 20. Jahrhundert Akten zu verzetteln wirklich fesch geworden sein.
Wenn demnächst die Kanzlei- und Büroordnungen von den Handbüchern für die von sog. Künstlichen Intelligenzen getriggerten Elektronischen Akten abgelöst werden, kommt der Geist zu sich: für die Maschine braucht es kein Dienstrecht.