Akten verzetteln

Irgendjemand wird die Tagung, das – ein Vorhaben –, einzuleiten haben. (»Am Mittwoch fahre ich nach Wien auf eine Tagung des österreichischen Bundesministeriums für die wirklich wichtigen Dinge […]« – dem muss man erst einmal gerecht werden. Kann man eh nicht, man kann’s nur versuchen.) Vielleicht das & den Vortrag – Dokument Akt Typewriter. Österreichische Kanzlei- und Büroordnungen in einem schreiben? Eine Verzettelung, die hiermit zu den elektronischen Akten kommt.

Also etwas mit den Theorien zum Akt, dessen Geschichte/n, seiner Aktenmäßigkeits-Feststellung – verbindet sich am folgenreichsten und bei Max Weber wesentlich mit ›Disziplin‹ [VerantwortungSachlichkeitBerechenbarkeit; Angestellte/Beamte, Militär und Religion als das magische Dreieck {moderner} Verwaltung – ein Aktenalgorithmus unterstützt dies gewisslich] –, seinen Materialitäten, etwas über das notwendigerweise abgeleitete Büro am Bildschirm (»Star« by Xerox et al. – die Office Men als Zielgruppe fürs Verkaufen der Rechenmaschine und die Folgen dessen); Vorschriften/Kanzleiordnungen, Akten zwischen Deckeln und in einem File/Ordner, Dokumentenmanagement (statt Latours »Drawing …« nun ein ›Filing things together‹ – ist das noch ein Akt? Die Erzählung von der Einheit der Dinge/deren Framing), Zshg. von Akt und den Techniken dafür (Papier/Regeln und Gerät/Leitung/Datenbanken/Algorithmen – »Machine Habitus« Airoldis!) mit der Weise wie ein Büro/Amt (Latour-Labor) funktioniert und sich entwickelt, Abbildung juridischer Hierarchien im Aktensystem (Votum vs. Sachverhaltsdarstellung) und vice versa, die Bewegungen des Aktes rekursiv und zur Ablage in einem, These dass wir den Papierakt und seine Instrumente verstehen müssen (mit Gespenstern & Medien die alten Medienverbünde, aus denen so schnell etwas zu erwachsen vermochte – und die neuen sowieso) samt Eigendynamiken – um fortlaufende/sich erhaltende Effekte in der Elektrifizierung und Digitalisierung zu verstehen. Der Akt ist mit seiner Apparatur, seinen Prozessen, medialen Involutionen und Antrieben stets emergent; anders gesagt: der Akt ist mehr als die Summe seiner Teile. Emergente Selbstorganisation, Autopoiesis und Gehirnsprünge … noch die kühnsten Pocahontas-Schnittstellen (Bd. 3) und -Landnahmen Klaus Theweleits zur Frage, Warum Cortés wirklich siegte, sind nolens volens – so übersetze ich: zwangsläufig, quasi: im Grunde – an administrative Verfahren gekoppelt, die sich durch die veraktende Spannung zwischen rekursiver Grammatologie und dem gegenläufigen Zug zur Ablage einerseits, durch das all diesen Prozessen vom Apparat eingewebte Tempus des Futur II andererseits auszeichnen.

Und: Akt als Symbol für Verwaltung/Bürokratie, an dem sich ganze Kulturen abarbeiten, wobei das nicht nur in diese hinein, sondern auch aus diesen heraus funktionieren dürfte. Auf der Tagung Literatur beispielhaft (E.T.A. Hoffmann und Raabe bei der Konferenz, TV-Serie – anschließen mit Musil [in Verstoß geraten]/Kafka – Process als Aktenlauf [von Grillparzer her; protókollon: Vor-Schrift und Vorwort]) lesen bis zur Stanzung/Skartierung hin [*]; Aktenordner und Locher zusammen erfunden und patentiert/Soennecken – wenn sich Dracula mit seinen Stanzungen als Bürokratieroman lesen lässt [a ha! Kittler], steht der Biss eines Vampirs auch für die Ängste vor der Bürokratie – die ihrerseits den Schieber entwickelt – und Vernichtung betrifft dann wiederum die Anwendung modernster (»Der Büroroman vom Pyromanen«, Richartz) Bürotechniken und Aktenläufe durch den Nationalsozialismus [Aly/Roth über »Die restlose Erfassung«; dagegen Krajewski mit dem »Restlosigkeit«-Buch … Monster der Bürokratie]; die Einführung des modernen Sozialstaats v.a. nach 1945 dann wiederum aktenbasiert, während teils genau die gleichen Personen die Verwaltung betreiben). Was ist denn so ein Akt? Wer sagt denn, wann ein Akt ein Akt ist, eine Akte der Akte des Akts? Vorgaben, Reglements …: eben auch Kanzleiordnungen und ihre juridischen Bordmittel.

Mit den Vorgaben werden Standards gesetzt, Standardisierungen (Formate, Formatvorlagen, Vorschriften für GZ-Vergaben, Kanzleiordnungen, Deutsche Industrienormen, Druckmaschinen, Pleners Postkarten aka Correspondenzkarten …) erzeugen »Operations-« bzw. ›Handlungsketten‹ [**] (Siegert, Kulturtechniken), d.h. Kettenreaktionen (cf. Siegert, Relais, 130), beschleunigte Abläufe; die Arbeitsteilung der Verwaltung, wie sie auch auf Walfängern, in Schlachthöfen, in Automobilfabriken, am Fließband zum Tragen kommt, ermöglicht erst ein vollständiges Change-Management. Das ist mitgemeint, wenn das Recht von »Techniken der Referenz« (Vismann, Akten, 33) her sich denken lässt, weshalb wiederum die Verarbeitung, genauer: die Zeichen- und Datenverarbeitung, das Referenzsystem der Verwaltung und ihre Kulturtechnik des Scheidens [Steinhauer] aufeinander angewiesen sind und über Standards, Kettenreaktionen, »Handlungsketten« operativ relevant werden können.Nur: lässt sich in Zeiten der Algorithmen und Dokumentenmanagementsystem noch von Handlungsketten sprechen?

Vom autobiographischen Pakt zum administrativen Akt – der Personalakt; oder Von der Auto- (Rekursion, i.e. »Der Baum der Erkenntnis«:) zur Actapoiesis. Agency, wohin immer man (sich) am Regal fasst.

Autopoiesis (Maturana et al. wiederum viel später) > Automat (KI des analogen Zeitalters) > écriture automatique > Automatikschaltung >> Akten und die Automatik innerhalb der Grenzen der Verwaltung; »Zur Mechanik des Geistes« (Rathenau, 1913) und die Zerlegung durch Musil im gleichen (S. Fischer) Verlag und die Aufnahme der Kernelemente der Kritik bis in die Figur des Arnheim im »Mann ohne Eigenschaften« hinein, über 15 Jahre und einen Weltkrieg später; dabei Rathenau/Arnheim wesentlich in der Frage der Kriegswirtschaft, aus dieser Haus den Wiederaufstieg Deutschlands zur Industrienation planend, DIN (und Taylorismus und Fordismus, Fließbänder und Arbeitsteilung, der Konnex von disassembly und assembly lines  [Spaten im Walspeck & Einlageblätter im Akt & Warentrenner am Fließband vor der Supermarktkasse & Hitchcock dreht am Rad: eine Fabrik oder ein Haus, das Verrückte macht], Notierungen und Ablaufoptimierungen von Muybridge-Auswertungen als Grundlage her) > A4 statt Goldenem Schnitt als sozusagen symbol. begrenzte wie begrenzende Tabula rasa der neuen Kanzleiordnung (dabei die Oberkante stets die schreibmaschinenkonforme Breite von 210 mm), der Aktenordnung >> ›Mechanik des Aktes‹ wird in Österreich 1923 neu geschrieben, zehn Jahre nach Rathenaus Buch »Mechanik«. Und: was bleibt informell?

So sieht das bis jetzt aus. tbc als Hoffnung … aka ad acta.


[*] »Warum machen Sie das?«
—Weil wir das können
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[**] Zu Handlungsketten und Schnittstellen, mithin Körper- und Kulturtechniken, fasst Erhard Schüttpelz mögliche instruktive Beobachtungsoptionen zusammen: »Leroi-Gourhan hatte den Begriff der »Operationskette« popularisiert, der auf Mauss zurückgeht und die Aufmerksamkeit auf die sukzessive Verknüpfung und Koordination der Tätigkeiten richtet, die einer Verrichtung zugrunde liegen. Die Operationskette besagt, dass sich die technische Aufmerksamkeit der Beteiligten an dieser sukzessiven Verknüpfung von Operationen orientiert und dass sich auch die Beschreibung – und die Techniktheorie – erst einmal an der Handlungsverknüpfung orientieren sollte und nicht an den Werkzeugen, am Resultat oder an einem einzelnen Schritt. Und je genauer die Techniktheorie (und eine Ethnographie) sich auf diese Perspektive einlässt, desto mehr erscheinen auch die technischen Spezialisierungen – und die wissenschaftlichen Tätigkeiten – von heute wiederum als eine jeweilige techné, d.h. als eine Form der Expertise oder einer praktischen Geschicklichkeit, die durch Vorschriften, Übungen und Vorbilder trainiert wird und nur anhand der jeweiligen Operationsketten oder Operationszyklen definiert und überprüft werden kann.« (Schüttpelz 2010, 111)